Besitzansprüche.
Grund des
Besitzschutzes.
98 RupoLpHu SoHM: Bürgerliches Recht.
Besitzer, d.h. sein Besitz wird durch den mieterischen Besitz Dritten gegen-
über vermittelt und ist dem Mieter selber gegenüber unwirksam.
Das Eigentümliche der Besitzansprüche ist, daß sie immer nur einen vor-
läufigen Schutz gewähren. Der petitorische dingliche und persönliche An-
spruch geht auf endgültige Befriedigung. Er bringt eine Rechtsfrage zum Aus-
trag. Der Besitzanspruch aber dient immer nur zur vorläufigen Regelung der
Besitzverhältnisse, nämlich bis zur Entscheidung der Rechtsfrage.
Es bleibt stets der dem einen oder dem anderen Teile zuständige petitorische
Anspruch vorbehalten. Nur solange über die petitorische Frage (die Rechts-
frage) noch nicht entschieden ist, soll der Besitzanspruch maßgebend sein.
Darum erlischt der Besitzanspruch, sobald die verbotene Eigenmacht durch
rechtskräftige Entscheidung der Rechtsfrage nachträchlich sachlich gerecht-
fertigt wird. Nur aus formellen Gründen ist dem Besitzer der Besitzanspruch
zuständig: das Handeln des anderen hat die Form der verbotenen Eigenmacht.
Darum ist der Besitzanspruch ein Anspruch unvollkommener Art. Er ist nicht
das Recht, endgültig zu verlangen, sondern nur das Recht, vorläufig zu ver-
langen. Er ist kurzlebig und verschwindet, als wenn er nie dagewesen wäre,
wenn er binnen Jahresfrist nicht geltend gemacht wird. Er wurzelt nicht in sach-
licher Berechtigung, sondern in den Anforderungen der öffentlichen Ord-
nung.
Die Ordnung des Gemeinlebens verlangt den Ausschluß wie der Selbst-
hilfe so jeder Eigenmacht. Wer Eigenmacht übt, soll zunächst, d.h. bis er
seinen Rechtsanspruch im Wege des vorgeschriebenen Gerichtsverfahrens
durchgesetzt hat, die Wirkungen seiner Eigenmacht rückgängig zu machen,
die Besitzstörung zu beseitigen, die durch Eigenmacht genommene Sache bis
auf weiteres dem früheren Besitzer zurückzugeben schuldig sein. Soweit Selbst-
hilfe zulässig ist (im Notfalle), ist gegen den Selbsthilfe (Eigenmacht) Übenden
der Besitzanspruch ausgeschlossen (die Eigenmacht war keine verbotene). So-
weit aber Selbsthilfe verboten ist, besteht der Besitzanspruch gegenüber jeder
Eigenmacht eines Nichtbesitzers. In den Besitzansprüchen vollendet sich das
System des Rechtsschutzes der Gegenwart. Das Verbot der Eigenmacht, das
den Besitzanspruch hervorbringt, steht ergänzend neben dem Verbot der
Selbsthilfe. Die possessorische Wirkung der verbotenen Eigenmacht entspringt
dem Grundgedanken unseres öffentlichen Rechts, daß Zwangsübung (Gewalt-
übung) gegen eine Person grundsätzlich der Privatperson entzogen und dem
Staate vorbehalten ist.
Freiheit im Sinne der Neuzeit ist, von jeder privaten Zwangsgewalt, die
nicht Familiengewalt ist, frei zu sein. Dem Staate untertan zu sein, ist Aus-
druck der Freiheit; Zwangsgewalt einer Privatperson ist Minderung der Freiheit.
Um der Freiheit willen besteht das Verbot der Selbsthilfe und um der Freiheit
willen besteht der Besitzanspruch.
Das römische Recht gewährte die Besitzansprüche nur den Herrenbesitzern.
Die römische Freiheit war aristokratischer Natur. Durch die deutsche Ent-
wickelung, die im bürgerlichen Gesetzbuche vollendet wurde, ist der Besitzes-