Schuldverträge.
102 RupoLpH SoHM: Bürgerliches Recht.
Grundsatz von Treu und Glauben eine noch größere Biegsamkeit und Spann-
kraft empfangen als im römischen Recht. Er vermag nicht bloß die von vorn-
herein auf Beweglichkeit und Unbestimmtheit angelegten Schuldverhältnisse,
sondern geradeso auch die Sonderfälle der genau verbindlichen Schuldverpflich-
tungen in sich zu begreifen und zu beherrschen. Das Schuldrecht regelt den
Kreditverkehr, und vermöge des Grundsatzes von Treu und Glauben vermag
es den Kreditverhältnissen sowohl die nötige Weite und Veränderlichkeit, wie
auch, soweit es nötig ist, die Kraft und rücksichtslose Strenge zu geben, die
der Verkehr der Gegenwart fordert.
IV. Die Schuldgründe. Die vornehmsten Gründe für die Entstehung
eines Schuldverhältnisses sind der Vertrag (Kontrakt) und die unerlaubte
Handlung (Delikt).
Der Vertrag ist zur rechtsgeschäftlichen Begründung eines Schuld-
verhältnisses notwendig und genügend.
Er ist notwendig, insofern die bloß einseitig erklärte, von der anderen
Seite nicht angenommene Willensmeinung einer Partei ein Schuldverhältnis
zu begründen außerstande ist. Es verpflichtet nicht das Versprechen als solches,
sondern nur das von dem anderen Teil angenommene, also von beiden Teilen
vereinbarte Versprechen. Nur ausnahmsweise hat das bloß einseitige Ver-
sprechen Verpflichtungskraft. Unter diesen Gesichtspunkt fällt die Auslobung,
d.h. das öffentlich kundgegebene Versprechen einer Belohnung für Vornahme
einer Handlung. Der Auslobende haftet als solcher (solange er nicht öffent-
lich seine Zusage widerrufen hat): es braucht niemand eine Annahmeerklärung
abzugeben.
Der Vertrag ist andererseits für die Erzeugung eines Schuldverhältnisses
genügend. Darin liegt der große Grundsatz der Vertragsfreiheit für das
Gebiet des Schuldrechts ausgesprochen. Sonst ist durchweg der Inhalt der
Rechtsverhältnisse von Rechts wegen umschrieben. Die Parteien können
über den Erwerb des Eigentums bestimmen, nicht aber über den Umkreis der
Eigentumsbefugnisse. Die Begründung des ehelichen Verhältnisses steht im
Willen der Beteiligten, nicht aber seine Art. Auf dem Gebiet des Schuldrechts
aber ist der Inhalt des Rechtsverhältnisses den Parteien freigegeben. Soweit
nicht die allgemeinen Schranken der rechtsgeschäftlichen Freiheit (wie das
Verbot unsittlicher oder wucherischer Geschäfte) eingreifen, ist den Vertrags-
teilen volle Willkür in der Gestaltung des Schuldverhältnisses gegeben. Dem
Verkehrsleben angehörige Leistungen können nach Belieben und in beliebiger
Art von den Parteien zum Gegenstand eines Schuldverhältnisses gemacht werden.
Daraus folgt der wichtige Satz, daß die im zweiten Buch des bürgerlichen Ge-
setzbuchs gegebene Behandlung des Schuldrechts weit entfernt ist, die mög-
lichen Schuldverhältnisse abschließend umgrenzen zu wollen, daß vielmehr nach
Willkür auch anders gestaltete Schuldverhältnisse begründet werden können,
daß folglich alle Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs über das Schuld-
recht, sofern nicht ausdrücklich das Gegenteil bestimmt ist, nur den Parteiwillen