System des bürgerlichen Rechts. B. Das Recht der Schuldverhältnise. ııı
jeder Art, auf die Dienste des Rechtsanwalts, des Arztes, des (nicht öffentlich
angestellten) Lehrers oder Religionsdieners ebenso wie auf die Dienste des
Handarbeiters. Das ganze große Gebiet des arbeitsmäßigen Erwerbslebens
wird durch das Recht von Dienstvertrag geregelt. Es gibt rechtlich keinen Unter-
schied zwischen liberaler und illiberaler Arbeit mehr: jede ehrliche Arbeit ist
des freien Mannes würdig, und jede ehrliche Arbeit ist rechtlich der anderen
gleich. Wie am Mietrecht, so ist auch am Recht des Dienstvertrags die ganze
Volksmenge bis zu den gebildeten Schichten hinauf beteiligt.
Im römischen Recht waren die niederen Dienste weitaus an erster Stelle
Sache der Sklavenbevölkerung. Soweit ein Sklave in fremde Dienste genommen
wurde, galt das Recht von der Sachmiete, d. h. der Arbeitsvertrag des freien
Arbeiters war von untergeordneter Bedeutung. Es hängt damit zusammen,
daß das römische Recht von der Dienstmiete ganz unentwickelt geblieben ist.
Es beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Dienstmiete für gültig zu er-
klären und die Regelung des Dienstverhältnisses der freien Vereinbarung der
Parteien zu überlassen.
Das gemeine deutsche Recht hatte die römische Dienstmiete übernommen
und hatte die Entwickelung nicht weitergeführt. Es blieb bei dem inhaltlosen
Grundsatze der Vertragsfreiheit. Das Dienstverhältnis blieb ein weißes Blatt,
das von den Parteien beliebig beschrieben werden konnte. Einzelne Arbeits-
verhältnisse, wie das Gesindeverhältnis und das Verhältnis der Gesellen und
Lehrlinge des zünftigen Meisters, besaßen ein gewisses Maß der Sonderregelung
im Sinne des früheren patriarchalischen Arbeitsrechts. Im allgemeinen war
der Inhalt des Arbeitsvertrags von Rechts wegen frei.
Seit der Gründung des Deutschen Reichs trat, zugleich mit der Einführung
der Gewerbefreiheit, der mächtige Aufschwung des deutschen Wirtschafts-
lebens ein, der Deutschland aus einem wesentlich agrarischen Gemeinwesen
in einen Industriestaat zu verwandeln im Begriffe ist. Das Arbeitsverhältnis
gewann eine ungeahnte Bedeutung. Auf ihm beruhen die mächtigen vieltausend-
armigen Arbeitsorganisationen, deren der neuzeitliche Großbetrieb zu seinen
Riesenleistungen bedarf, zugleich das Dasein der großen Arbeitermenge. Der
Arbeiterstand wächst unaufhörlich. Immer mehr stellt die Arbeiterklasse den
Hauptbestandteil der Masse unseres Volkes dar. Auf ihr beruht das Wachstum
der großen Städte, auf ihrem Emporkommen das Wachstum der Kräfte der
Nation. Die Regelung des Arbeitsvertrages berührt die Grundlagen, ja die Ge-
sundheit des nationalen Lebens. Sie gehört zu den wichtigsten Stücken der
inneren Politik. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit konnte unmöglich weiter-
hin genügen. Er ließ die auf diesem Gebiet in Frage kommenden nationalen
Interessen schutzlos. Er lieferte den schwächeren Teil, d. h. den Arbeitnehmer,
dem stärkeren, dem Arbeitgeber, aus. Er ermöglichte die rücksichtslose Aus-
beutung der arbeitenden Klasse durch den industriellen Unternehmer und damit
die Entkräftung der niederen Volksmenge, die doch den Jungbrunnen für die
stete Erneuerung der Volkskraft darzustellen bestimmt ist: die Geschichte der
Niederen ist die Geschichte der Zukunft.
Unzulänglichkeit
des {rüheren
Rechts.