Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des bürgerlichen Rechts. B. Das Recht der Schuldverhältnise. ııı 
jeder Art, auf die Dienste des Rechtsanwalts, des Arztes, des (nicht öffentlich 
angestellten) Lehrers oder Religionsdieners ebenso wie auf die Dienste des 
Handarbeiters. Das ganze große Gebiet des arbeitsmäßigen Erwerbslebens 
wird durch das Recht von Dienstvertrag geregelt. Es gibt rechtlich keinen Unter- 
schied zwischen liberaler und illiberaler Arbeit mehr: jede ehrliche Arbeit ist 
des freien Mannes würdig, und jede ehrliche Arbeit ist rechtlich der anderen 
gleich. Wie am Mietrecht, so ist auch am Recht des Dienstvertrags die ganze 
Volksmenge bis zu den gebildeten Schichten hinauf beteiligt. 
Im römischen Recht waren die niederen Dienste weitaus an erster Stelle 
Sache der Sklavenbevölkerung. Soweit ein Sklave in fremde Dienste genommen 
wurde, galt das Recht von der Sachmiete, d. h. der Arbeitsvertrag des freien 
Arbeiters war von untergeordneter Bedeutung. Es hängt damit zusammen, 
daß das römische Recht von der Dienstmiete ganz unentwickelt geblieben ist. 
Es beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Dienstmiete für gültig zu er- 
klären und die Regelung des Dienstverhältnisses der freien Vereinbarung der 
Parteien zu überlassen. 
Das gemeine deutsche Recht hatte die römische Dienstmiete übernommen 
und hatte die Entwickelung nicht weitergeführt. Es blieb bei dem inhaltlosen 
Grundsatze der Vertragsfreiheit. Das Dienstverhältnis blieb ein weißes Blatt, 
das von den Parteien beliebig beschrieben werden konnte. Einzelne Arbeits- 
verhältnisse, wie das Gesindeverhältnis und das Verhältnis der Gesellen und 
Lehrlinge des zünftigen Meisters, besaßen ein gewisses Maß der Sonderregelung 
im Sinne des früheren patriarchalischen Arbeitsrechts. Im allgemeinen war 
der Inhalt des Arbeitsvertrags von Rechts wegen frei. 
Seit der Gründung des Deutschen Reichs trat, zugleich mit der Einführung 
der Gewerbefreiheit, der mächtige Aufschwung des deutschen Wirtschafts- 
lebens ein, der Deutschland aus einem wesentlich agrarischen Gemeinwesen 
in einen Industriestaat zu verwandeln im Begriffe ist. Das Arbeitsverhältnis 
gewann eine ungeahnte Bedeutung. Auf ihm beruhen die mächtigen vieltausend- 
armigen Arbeitsorganisationen, deren der neuzeitliche Großbetrieb zu seinen 
Riesenleistungen bedarf, zugleich das Dasein der großen Arbeitermenge. Der 
Arbeiterstand wächst unaufhörlich. Immer mehr stellt die Arbeiterklasse den 
Hauptbestandteil der Masse unseres Volkes dar. Auf ihr beruht das Wachstum 
der großen Städte, auf ihrem Emporkommen das Wachstum der Kräfte der 
Nation. Die Regelung des Arbeitsvertrages berührt die Grundlagen, ja die Ge- 
sundheit des nationalen Lebens. Sie gehört zu den wichtigsten Stücken der 
inneren Politik. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit konnte unmöglich weiter- 
hin genügen. Er ließ die auf diesem Gebiet in Frage kommenden nationalen 
Interessen schutzlos. Er lieferte den schwächeren Teil, d. h. den Arbeitnehmer, 
dem stärkeren, dem Arbeitgeber, aus. Er ermöglichte die rücksichtslose Aus- 
beutung der arbeitenden Klasse durch den industriellen Unternehmer und damit 
die Entkräftung der niederen Volksmenge, die doch den Jungbrunnen für die 
stete Erneuerung der Volkskraft darzustellen bestimmt ist: die Geschichte der 
Niederen ist die Geschichte der Zukunft. 
Unzulänglichkeit 
des {rüheren 
Rechts.
	        
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