Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Die Sippe. 
Das Haus. 
Aufgaben des 
Familienrechts. 
124 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht. 
Wir leben in einem kapitalistischen Zeitalter. König Midas! Es ist die Kraft 
und das Verhängnis unserer Zeit, alles, was sie berührt, in Gold zu verwandeln. 
Auch das Grundbuchrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs ist geldwirtschaft- 
liches Verkehrsrecht. 
D. Das Familienrecht. 
Das Familienrecht ist die Grundlage des Volkslebens. Ohne die Familie 
der Gegenwart ist die Kultur der Gegenwart undenkbar. Aber erst eine Ent- 
wickelung hat die Familie der Gegenwart hervorgebracht. 
In den Anfängen der Geschichte erscheint als Familie die Großfamilie, die 
Sippe, die Gesamtheit aller, die durch die Bande des Blutes verbunden sind. 
Die Sippe ist die Familie der nomadischen Wanderzeit. Sie beschützt, erhält, 
ernährt den Einzelnen. Sie beruht auf der Unfähigkeit des Einzelnen zum 
Sonderdasein. Sie ist nicht so sehr Familie in unserem Sinne, als vielmehr zu- 
nächst Ersatz, dann Keimzelle des Staates. Durch Verbindung mehrerer Sippen 
entsteht der Staat. Noch zu der Zeit, da Julius Cäsar die Deutschen erblickte, 
bildete die Sippe innerhalb des Staatswesens wie eine militärische, so eine wirt- 
schaftliche Einheit. Die Sippe lebte in Gemeinwirtschaft. Der Mann mit Weib 
und Kind hatte sein Dasein nur durch seine Sippe. 
Das Selbständigwerden der Kleinfamilie, der Familie des Einzelnen, war 
der erste große Kulturfortschritt. Die Kleinfamilie ward die Familie der Zu- 
kunft. Ihre Grundlage war die Hausgenossenschaft. Schon als Tacitus 
seine Germania schrieb, war die große Wandlung geschehen. Das deutsche 
Haus war da. Haus- und Hofstätte standen im Sondereigentum des Einzelnen. 
Jedem Hausvater ward ein Teil des Ackerfeldes zur Sonderbestellung zugeteilt. 
Die Sippe wirtschaftete nicht mehr gemeinsam. Die einzelne Haushaltung 
lebte auf eigne Rechnung. Der Einzelne war des Sonderdaseins fähig geworden. 
Der eigne Herd, an dem er mit seinen Hausgenossen ‚in einem Rauche‘ lebte, 
war der Ausdruck seiner Daseinskraft. In der Hausfamilie war die Grundlage 
der Freiheit des Einzelnen gegeben. 
Neben dem Hausverbande äußerte die Sippe ihre Nachwirkungen: auf dem 
Gebiete des Vormundschaftsrechts und des Erbrechts. Auf diesem Gebiete ist 
sie noch heute von Bedeutung. Die Kleinfamilie des einzelnen Hausvaters aber 
ist die Stätte des Familienlebens geworden, aus dem das Volksleben seine Nah- 
rung zieht. In ihr hat der Geist der Liebe seine Wohnung, der der mächtigste unter 
allen guten Geistern ist, täglich geschäftig in der gegenseitigen Erziehung von 
Mann und Frau, in Werken elterlicher und kindlicher Hingebung, das stille Glück 
des Hauses schaffend und mit dem Glücke Kraft der Sittlichkeit und des Lebens. 
Hier tritt die Rechtsordnung an eine ihrer wichtigsten und zugleich zartesten 
Aufgaben heran. Das Familienrecht kann den Geist des Familienlebens nicht 
erzeugen, aber es soll die Formen bereiten, innerhalb deren er sich zu entwickeln 
imstande sei. Wenn der Geist der Liebe versagt, wie weit kann und soll der 
Geist des Zwanges helfen, den das Recht vertritt? Das ist die große Frage, die 
durch die Familienrechtsordnung gelöst wird.
	        
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