Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Deutsche Ehe 
schlic Bungsferm. 
126 RupoLpH SoHm: Bürgerliches Recht. 
So weit verbot das altkanonische Recht auch die Ehe. Verwandtenliebe sollte 
nicht in eheliche Liebe verwandelt werden. Es kam hinzu, daß auch die durch 
Ehe begründete Schwägerschaft in gleichem Maße das Ehehindernis in der 
Seitenlinie begründete: der Mann, dem seine Frau gestorben war, konnte keine 
Verwandte seiner verstorbenen Frau heiraten. Überall, wo das Familienband 
bereits gegeben war, ward die eheliche Gemeinschaft verboten. Solche Über- 
spannung des Verwandtschaftshindernisses war lediglich eine Gefahr für alle 
bestehenden Ehen. Sie schloß die Ehe mit Personen aus, mit denen verwandt 
zu sein man sich vielleicht gar nicht bewußt war. Sie ward im tatsächlichen 
Erfolg das Mittel, von einer lästig gewordenen Ehe loszukommen. Wollte 
der Mann seine Frau nicht mehr, so gelang es ihm nicht selten, irgendwelche 
Verwandtschaft oder Schwägerschaft ausfindig zu machen, um derentwillen 
die Ehe als nichtig angegriffen werden konnte. Die Nichtigkeitsklage diente 
an Stelle der von der Kirche versagten Scheidungsklage. Was die Heiligkeit 
der Ehe fördern sollte, ward in sein Gegenteil verkehrt. Innozenz III. be- 
schränkte das Hindernis der Verwandtschaft in der Seitenlinie auf den 4. Grad 
(Kinder von Andergeschwisterkindern haben den 4. Grad kanonischer Grad- 
zählung). Aber auch diese Einschränkung genügte nicht. Theoretisch gilt noch 
heute in der katholischen Kirche das von Innozenz III. aufgestellte Gesetz. 
Praktisch aber wird durch Ehedispens nachgeholfen: im 4. und 3. Grade wird 
ohne Schwierigkiet dispensiert, im Falle der Not auch im 2. Grade deutscher 
Gradzählung (Vetter und Cousine). Das protestantische Kirchenrecht ging auf 
das römische, teilweise auch auf alttestamentliches Recht zurück, um das Ver- 
wandtschaftshindernis zu bestimmen. Die Ehe zwischen Vetter und Cousine, 
bisweilen auch zwischen ihren Kindern, die Ehe zwischen Onkel und Nichte, 
Tante und Neffe ward verboten. Aber auch hier gab es Dispense. Das bürger- 
liche Gesetzbuch hat sich mit Recht darauf beschränkt, die Verwandtenehe in 
den Fällen zu untersagen, in denen die Ehe notwendig und unbedingt (ohne 
Möglichkeit des Dispenses) ausgeschlossen ist: unter Verwandten und Ver- 
schwägerten in gerader Linie und unter Geschwistern. Das sittliche Empfinden 
der Gegenwart ist hier die allein entscheidende Großmacht. Kirchliche, im 
Namen der Religion aufgestellte Verbote, von denen die kirchliche Obrigkeit 
dann doch zu dispensieren in der Lage ist, bedeuten einen Widerspruch in sich 
selbst. 
Die Form der Eheschließung ist zunächst durch das volkstümliche Her- 
kommen bestimmt worden. Der Brautkauf war das deutsche Rechtsgeschäft 
für die Eheschließung (der Brautraub gehört der geschichtlichen Vorzeit an; 
nur in den Hochzeitsgebräuchen sind Erinnerungen an ihn übriggeblieben). 
Der Bräutigam kaufte die Braut von ihrem Vater; wenn ihr Vater tot war, 
von ihrem Vormund (regelmäßig dem Bruder). Verlobung hieß der rechtsförmliche 
Abschluß des Brautkaufvertrages: der Brautvater erhielt das Handgeld. Trau- 
ung hieß die rechtsförmliche Erfüllung des Brautkaufvertrages: der Bräutigam 
zahlte jetzt den Brautpreis (das Wittum) und empfing dafür die Braut. Die 
Übergabe (Trauung, d.h. Anvertrauung) der Braut vollzog der Brautvater:
	        
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