138 RupoLpH SoHuM: Bürgerliches Recht.
Allerdings aber ist der ganze Unterhaltsanspruch des Unehelichen durch den
(im gemeinen Recht streitigen, vom bürgerlichen Gesetzbuch aber jetzt auf-
genommenen) Rechtssatz gefährdet, daß der außereheliche Erzeuger die Tat-
sache, daß auch ein anderer während der Empfängniszeit der Mutter beigewohnt
habe (sog. exceptio plurium), geltend machen kann: er ist dann von jeder Unter-
haltspflicht frei. Neben dem Unehelichen selber hat auch die Mutter gewisse
Rechte gegen den Erzeuger: auf die Kosten der Entbindung und die Kosten des
Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung.
Die Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs über die Unehelichen sind
scharf angegriffen worden. Man hat sie für unsozial erklärt: die Zurücksetzung
des unehelichen Kindes gegenüber dem ehelichen bedeute zugleich eine Zurück-
setzung der besitzlosen Klassen gegenüber den besitzenden. Der Angriff geht
von der irrigen Voraussetzung aus, als ob der außereheliche Vater für den Regel-
fall in den Reihen der besitzenden Klassen zu suchen wäre. Man kann aber
von dieser tatsächlichen Frage vollständig absehen. Gegen die Zulassung der
exceptio plurium würde man im Interesse des Unehelichen Bedenken haben
können. Im übrigen aber ist das Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs zweifellos
sachlich gerecht. Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen,
auch die halbe Gleichstellung, die das preußische Landrecht bestimmt hatte,
ist ungerecht gegen die Ehe, ebenso wie umgekehrt das französische Recht mit
seiner unbedingten Versagung des Unterhaltsanspruchs gegen den Erzeuger
ungerecht ist gegen das uneheliche Kind. Das bürgerliche Gesetzbuch geht,
mit dem früheren gemeinen Recht, den richtigen Mittelweg. Für das unehe-
liche Kind ist gesorgt. Das fordert der soziale Gedanke: das Kind soll nicht,
wie einst im Mittelalter, gestraft werden für die Sünde seiner Eltern. Aber für
das uneheliche Kind kann nicht in gleicher Weise gesorgt werden wie für das
eheliche. Für die Schäden, die in dem Dasein unehelicher Kinder zum Ausdruck
kommen, kann nicht die Gestaltung des bürgerlichen Rechts das Heilmittel
sein: das Privatrecht vermag nicht anders als die Ehe gegen uneheliche Kinder
zu verteidigen. Die Aufgaben, die hier durch das Dasein unehelicher Kinder
gestellt sind, fallen in das Gebiet der sozialpolitischen Gesetzgebung, der
Gesetzgebung, die überhaupt der Hebung der niederen Klassen zu dienen be-
stimmt ist. Die volle Gewährung des Koalitionsrechts, die gesetzliche Be-
schränkung der Arbeitszeit, der Schutz der Heimarbeiter und Heimarbeite-
rinnen gegen Ausbeutung, die Einschränkung der Bodenspekulation, über-
haupt alle die Maßregeln, welche um der wirtschaftlichen Emporentwickelung
der niederen Klasse willen notwendig sind, das sind die Wege, die zur Minde-
rung wie der Prostitution so auch der Ursachen führen, die an dem Dasein
unehelicher Kinder und ihres Elends schuldig sind. Allerdings, allein damit ist
das Werk noch nicht getan. Die Entscheidung liegt in der sittlichen Ent-
wickelung, deren letzte Quelle in der Kraft des religiösen Lebens wurzelt.
Aber beides, das Wirtschaftliche und das Sittliche, hängt untrennbar mit-
einander zusammen. Irdischer Sonnenschein gesteigerten wirtschaftlichen Da-
seins wirkt weckend auch auf den sittlich-religiösen Geist. Das ist das höchste