Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Schluß. 143 
fügungsfreiheit des Erblassers über seinen Nachlaß. Das spricht sich vornehm- 
lich einerseits in der Einführung des eigenhändigen Testaments, andererseits 
in der Gestaltung des Pflichtteilsrechtes aus. 
Das eigenhändige Testament stammt aus dem französischen Recht und 
hatte schon vor dem bürgerlichen Gesetzbuche in dem Gebiet des code civil 
(dem linksrheinischen Deutschland) Geltung. Durch das bürgerliche Gesetz- 
buch ist es für ganz Deutschland Rechtens geworden. Es bedarf zu seiner 
Form nur eines eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen, mit Orts- 
und Zeitdatum versehenen Aufsatzes des Erblassers. Es ist die denkbar freieste 
und leichteste und zugleich die billigste, jedermann aus dem Volke zugängliche 
Testamentsform. Es hat die gleiche Kraft wie das öffentlich (vor einem Richter 
oder einem Notar) errichtete Testament. Es ermöglicht dem Erblasser, jeder- 
zeit ohne Umstände und ohne daß jemand davon erfährt, letztwillige Ver- 
fügungen zu treffen. 
Das Pflichtteilsrecht bedeutet den Rechtsschutz der nächsten Angehörigen 
gegen eine sie von der Erbfolge ausschließende Verfügung des Erblassers. Pflicht- 
teilsrecht ist nach dem bürgerlichen Gesetzbuche den Kindern (bzw. Kindes- 
kindern) und dem Ehegatten sowie den Eltern des Erblassers zuständig. Das 
Pflichtteilsrecht bedeutet die Sicherung eines gewissen Anrechts des Ehegatten 
(der Frau) und insbesondere ein gewisses Maß der Gleichbehandlung der Ge- 
schwister (ein bürgerliches Prinzip). Aber das Pflichtteilsrecht äußert sich nach 
dem bürgerlichen Gesetzbuche nur noch durch Erzeugung des Pflichtteils- 
anspruchs, d.h. eines Forderungsrechts gegen den eingesetzten Erben auf die 
Hälfte des Werts des dem Pflichtteilsberechtigten gesetzlich gebührenden 
Erbteils. Der Pflichtteilsanspruch ist als bloßer Geldanspruch gestaltet. Ein 
Noterbrecht, wie es nach römischem und ebenso auch nach bisherigem deut- 
schen Recht den nächsten Angehörigen zuständig sein konnte mit der Wirkung, 
daß die vom Erblasser verfügte Erbfolge zugunsten des Noterbberechtigten 
hinfällig ward, ist dem bürgerlichen Gesetzbuche unbekannt. Die vom Erb- 
lasser angeordnete Erbfolge bleibt schlechtweg aufrecht, so schr auch nächste 
Angehörige dadurch zurückgesetzt erscheinen mögen. Nur das praktisch Not- 
wendige, ein gewisser Wert, wird den Angehörigen gesichert. Grundsätzlich 
beschränkt das Pflichtteilsrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs sich darauf, zu 
Lasten des eingesetzten Erben eine Nachlaßverbindlichkeit auf Auszahlung 
einer Geldsumme, der Pflichtteilssumme, hervorzubringen. Dem freien Eigen- 
tum der Gegenwart entspricht die Freiheit der Verfügung von Todes wegen. 
Auch das Erbrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs ist gleich dem gesamten neu- 
zeitlichen Privatrecht bürgerlich-geldwirtschaftliches Recht. 
Schluß. 
An den großen Wendepunkten der Rechtsentwickelung offenbaren sich deut- 
licher als sonst die innersten Lebensgesetze, denen Werden und Wachsen des 
Rechts gehorcht. Das bürgerliche Gesetzbuch bedeutet einen solchen Wende- 
Eigenhändiges 
Testament. 
Pflichtteilsrecht.
	        
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