Schluß. I45
Gerade deshalb folgt das geltende Recht, auch das Privatrecht, so natur-
notwendig den Wandlaungen des Volkslebens. Es ändert unaufhörlich seinen
Inhalt, häufig unmerklich und unbewußt — die großen Atemzüge des Volks-
und Rechtslebens sind regelmäßig für die Mitlebenden unhörbar, — aber um
so unwiderstehlicher. ‚Alles fließt‘‘. Die Rechtsentwickelung läßt sich nicht
bändigen noch festhalten im Interesse der gegenwärtig etwa Begünstigten. Auch
hier gibt es für den Wechsel von Sonne und Mond kein: Stehe stilll Wo ist
das aristokratische Privatrecht geblieben, das vor einem Jahrtausend die Macht
des hohen Adels über Hintersassen und Vasallen begründete? Wo das junker-
liche Privatrecht, das im späteren Mittelalter dem niederen Adel zum Mittel
seines Emporsteigens ward? Der dritte Stand ist in die Herrschaft eingetreten,
und unser Privatrecht ist in der Hauptsache bürgerliches Recht. Der Kauf-
mann hat in der Macht über das Privatrecht den Junker abgelöst. Über dem
Tor der Rechtsgeschichte lesen wir nicht die Dantesche Hölleninschrift. Im
Gegenteil. Mit goldenen Lettern steht geschrieben: Hier ist das Land der Hoff-
nung, ist Bahn zur Emporentwickelung für alle Niederen!
Gewiß, kein glücklicher Zufall und kein Beschluß einer gesetzgebenden
Versammlung kann von heute auf morgen die Lage ganzer Schichten der Ge-
sellschaft umgestalten. Zum Aufsteigen gehört das Verdienen aus eigener
Kraft, das Gewinnen von Macht durch Leistungen für das nationale Leben.
Nicht die gleichmäßige, sondern die gerechte Verteilung der nationalen Güter
ist die Aufgabe der Rechtsordnung. Jedem das Seine! Jedem, was ihm gebührt,
was ihm gebührt nach seinen Leistungen für das Volksganzel Danach be-
stimmt sich unweigerlich die Rechtslage nicht unmittelbar jedes Einzelnen,
wohl aber der gesellschaftlichen Klassen. Höhere Macht kann nur durch
höhere Leistung errungen werden. Nur durch Dienen kannst du herrschen.
Der Einfluß des dritten Standes auf das geltende Recht ruht nicht auf seiner
Selbstsucht, sondern darauf, daß er der Schöpfer unserer Bildung ist. Das Recht
dient dem Volke und darum an erster Stelle denen, welche die Kraft des na-
tionalen Lebens verkörpern. Jedem das Seine. Das Emporsteigen des vierten
Standes ist im Werke. Es wird in dem Augenblick unwiderstehlich sein, in
dem auch die arbeitende Menge sich ohne Vorbehalt in den Dienst des na-
tionalen Gedankens stellt.
Die Bedeutung, die dem Arbeiterstande für die Kraftentwickelung des
Deutschen Reichs zukommt, ist schon jetzt in unserem Recht, auch in unserem
bürgerlichen Rechte sichtbar. Dem Gedanken der Freiheit des Einzelnen, den
der dritte Stand in die Welt gesetzt hat, ist der soziale Gedanke an die Seite
getreten, der dem vierten Stande entgegenkommt.
Die Zeit, in der wir leben, ist eine kapitalistische. In dem geldwirtschaft-
lichen Verkehre liegt die wirtschaftliche Grundlage unserer Macht. Dieser Tat-
sache muß das Recht, an erster Stelle das bürgerliche Recht, gehorchen. Das
Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs ist darum ein kapitalistisches Recht. Das
kann gar nicht anders sein. Das liegt heute im Interesse aller Volksklassen.
Denn so das Ganze des Volks nicht Kraft hätte, woher sollte Kraft für die einzel-
Kultur der Gegenwart. Il. 8. 2. Aufl. Io