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Die Geschichte der Privatrechtswissenschaft hat bei den römischen
Juristen einzusetzen. Die römische Jurisprudenz hat die Grundlagen unserer heutigen
Privatrechts wissenschaft geschaffen. Wie den Hellenen auf dem Gebiete der Kunst,
so war den Römern auf dem Gebiete des Rechts der geniale Formensinn eigen, der den
von der Natur dargebotenen Stoff bändigt, um ihn zum Ausdrucksmittel menschlichen
Geistes zu erheben.
In Rom war esin den Jahrhunderten des Königtums und der Republik das Priester-
kollegium der Pontifices, das von altersher mit den übrigen Wissenschaften den Besitz der
Rechtswissenschaft verband. Sie kannten den Rechtskalender, die Tage, an denen Klage
von den Göttern zugelassen (dies fasti) und nicht zugelassen war (dies nefasti). Sie
kannten die Formeln der Rechtsgeschäfte und der Prozeßhandlungen. Sie übten ihre
Autorität in der Form von Gutachten (responsa), die sie der richtenden Obrigkeit sowie
auf Anfrage der Partei erteilten.
Seit dem Beginn der Kaiserzeit wird das Recht, verbindliche Rechtsgutachten ab-
zugeben (jus respondendi), vom Kaiser frei verliehen. Die Rechtswissenschaft ward ein
Bestandteil des weltlichen nationalen Lebens, und eine juristische Literatur kam auf,
die in den ersten drei Jahrhunderten des Kaiserreichs die Herrschaft über die römische
Rechtsentwicklung führte. Das im zweiten und dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung
zur vollen Blüte gelangende klassische römische Recht ist das Werk der freien
Wissenschaft gewesen, einer Wissenschaft, die aus den Volksgesetzen und überlieferten
Verkehrsgewohnheiten (jus civile) einerseits, aus dem Rechtspflegeerlaß (Edikt) des
Prätors, d. h. der stadtrömischen Gerichtsobrigkeit, andererseits ein einheitliches System
des Rechtes, insbesondere des Privatrechtes entwickelte, das Geschlossenheit des Auf-
baues mit dem von dem Weltverkehr des Weltreichs geforderten Freiheitsraum für die
Handhabung im einzelnen vereinigte.
Die Art des römischen Juristen war eine andere als die unsere. Sie war nicht so sehr
rechtsbegreifender als vielmehr rechtsschöpferischer Natur. Sie war an erster Stelle
Kunst: die Kunst dem Einzelfall sein ihm entsprechendes Recht zu geben, die Kunst
der kasuistischen Rechtserzeugung. Die vornehmsten Werke der römischen Juristen
ergehen sich in der Behandlung unzähliger Einzelfälle. Der Inhalt der Gesetzestexte und
des prätorischen Edikts war verhältnismäßig arm. Er erfüllte sich unter den Händen der
römischen Juristen durch eine freie, dem Leben zugewandte, den Buchstaben der Texte
zugleich pflegende und beherrschende praktisch-kasuistische Handhabung mit unend-
lichem Reichtum. Das Große dabei war, daß die Treffsicherheit der Einzelentscheidung
mit einer namentlich an den Prozeßformularen des prätorischen Edikts erstarkten
Schärfe und Bestimmtheit formgebender Grundgedanken sich verband, durch die die
einzelnen Erscheinungen des Rechtslebens (Kauf, Miete, Sozietät, Eigentum, Dienst-
barkeit usw.) zu fest umrissenen Rechtsinstituten sich gestalteten. Nicht als ob man die
Grundgedanken abstrakt ausgesprochen und entwickelt hätte. Aber mit innerer Natur-
*) Der Inhalt der vorstehenden Darstellung entstammt teilweise einem Lehrbuch des bürgerlichen Rechtes, das ich
künftig im Verlag von DUNCKER & HUMBLOT herauszugeben gedenke.
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