Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

HANDELS- UND WECHSELRECHT. 
VoN 
KARL GAREIS. 
Einleitung. Fast möchte es den Anschein haben, es seien die Tage des 
Handelsrechts als eines besonderen Teils des Rechtssystems gezählt; die Existenz- 
berechtigung eines Sonderrechts wird mit gewichtigen Worten in Zweifel gezogen; 
aus politischen Gründen wird gerufen: Gleiches Recht für alle! Gleiches Gericht für 
jedermann! Die Schweiz hat bereits verzichtet auf ein besonderes Handels- 
gesetzbuch, nicht bloß von dem besagten politischen Gesichtspunkte aus, 
sondern auch deshalb, weil „die durch alle Schichten der Gesellschaft gleich- 
mäßig verbreitete Schulbildung und geschäftliche Begabung des Volkes‘ nach 
der Ansicht des eidgenössischen Gesetzgebers die Aufnahme von Normen, 
wie sie der Handel braucht, in das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch gestattet. 
Und besondere Handelsgerichte kennt die deutsche Gesetzgebung im großen 
und ganzen auch nicht, höchstens besondere Abteilungen für Handelssachen 
innerhalb der allgemeinen Gerichte, die Kammern für Handelssachen. Und 
wie zahlreich sind überall die Rechtsnormen, die ursprünglich für ein beschränktes 
Gebiet des Handels geschaffen, nun hinausströmen über weite Gebiete des 
bürgerlichen Verkehrs überhaupt. Das sprechendste Beispiel hierfür ist das 
Wechselrecht: ursprünglich nur für den Handelsmann, ja nur für eine Klasse 
der Kaufleute, die Bankiers, gewohnheitsrechtlich entstanden, hat das Wechsel- 
recht längst ein so weites Anwendungsrecht gewonnen, wie das Vertragsrecht 
des allgemeinen bürgerlichen Verkehrs: seit mehr als 50 Jahren schon gilt in 
Deutschland: wechselfähig ist jeder, der sich durch Verträge verpflichten kann. 
In demselben weiten Gebiete zirkuliert heutzutage die Bankanweisung, der Scheck: 
das Scheckgesetz ist für jedermann; das gleiche gilt vom Aktienwesen und dem 
Rechte der Aktiengesellschaften, einem Bestandteile aller modernen Handels- 
gesetzbücher, ist als Aktionär jeder unterworfen, der eine Aktie besitzt. Die 
handelsrechtlichen Sonderbestimmungen über den Kontokurrentverkehr gelten 
nicht bloß für den Verkehr unter Kaufleuten, und das ganze Frachtrecht der 
Handelsgesetzbücher bindet und berechtigt auch den Nichtkaufmann, der einem 
Frachtführer ein Gut anvertraut, wie die Eisenbahnverkehrsordnung für jeder- 
mann da ist, der ein Eisenbahnbillet sich gelöst hat. 
Zwar ist sich der Einzelne wohl meist nicht bewußt, daß er dadurch, daß 
er einen Fahrschein am Schalter einer Bahnstation löst, einen Vertrag abschließt, 
Bedeutung des 
Handelsrechts 
im allgemeinen.
	        
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