Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Einleitung. 157 
Und somit bleibt das Handelsrecht ein besonderes Stück des unentthronten 
bürgerlichen Rechts, ja ein Bahnbrecher für alle Fortschritte im letzteren und 
der Vermittler der Übernahme neuer Rechtsinstitute unter den Kulturvölkern. 
Denn zu den vorzüglichen Qualitäten, die dem Handelsrecht als Teil des Privat- 
rechts überhaupt eignen, kommt noch der starke internationale Zug, der in 
diesem eigenartigen Teile des Privatrechts weht, die Einwirkung der handel- 
treibenden Völker der Erde aufeinander in der Ausbildung des besonderen 
Handelsrechts und des allgemeinen Handelsrechts, und es kommt hinzu noch 
die hervorragende Beteiligung des Handelsrechts an den sozialpolitischen Ver- 
änderungen. 
Zweimal schon hat das Handelsrecht eine große gesellschaftliche Verschie- 
bung eingeleitet und durchgemacht, die mit der Entstehung eines neuen Standes 
und neuer sozialpolitischer Verhältnisse unmittelbar zusammenhängt: die erste 
Verschiebung ist abgetan, in der zweiten befinden wir uns noch. Als in die aus 
ritterbürtigen Burgmannen und aus hörigen Handwerkern zusammengewürfelte 
Bevölkerung des jungen deutschen Städtelebens im II. und 12. Jahrhundert 
der freie Kaufmann eindrang, sein Recht daselbst sich bildete und die Zunft 
der Handelsleute an die Spitze der Stadtbevölkerung trat, da sank der adelige 
Castellanus und Ritter in der Stadt, und es hob sich dort das andere Element 
der Stadtbewohner: es entstand das freie Bürgertum, und zu diesem zog der 
Handelsstand auch das Handwerk empor; der Handwerker dankt in Deutschland 
seine rechtliche Freiheit und seine wirtschaftliche Selbständigkeit dem Handel- 
treibenden, der die Freiheit in die Städte brachte, wie er das Geld und den 
Kreditverkehr ebendahin getragen hat. Damals entstand das eigenartige 
Handelsrecht, ermöglicht und getragen durch die eigene Gerichtsbarkeit der 
handeltreibenden Bürger (Handelsgerichtsbarkeit als Innungsgerichtsbarkeit 
oder Zweig der städtischen Gerichtsbarkeit); es entstand als ein Zunftrecht 
und wirkte ein auf die Rechte und Rechtsstellung der übrigen Zünfte. Mit der 
politischen Organisation des sog. dritten Standes, des freien Bürgertums ist 
diese erste vom Handelsstand und Handelsrecht bewirkte soziale Tat abge- 
schlossen. 
Nicht abgeschlossen ist die zweite gesellschaftliche Verschiebung. Sie hebt 
an mit der rechtlichen Ermöglichung und rechtlichen Organisation des kon- 
zentrierten Großkapitals: die Normen des handelsrechtlichen Gesellschafts- 
wesens, ausgehend von der Verzweigung der Kaufmannsfamilien und von den be- 
scheidenen Anfängen der commenda als schlichter Kapitalsbeteiligung bei einem 
Handelsunternehmen eines für sich nicht allein kapitalkrältigen Geschäfts- 
mannes oder Staates, gewährten und gewähren die Möglichkeit der Ansammlung 
ungeheurer Vermögen in einer einzigen Gesellschaft, die von Einem Sinne ge- 
leitet wird. Und die handelsrechtlichen Institute, die der Mobilisierung und 
Übertragbarkeit der Werte dienen, die Institute der Wertpapiere und des 
Wechsels, des Bankverkehrs und der Börsen ermöglichen die internationale 
Konzentration und Distribution des Großkapitals im Interesse der Großindustrie, 
des Welthandels und des Großkredits in diesem. Und dabei wird nicht das
	        
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