I. Das Verhältnis zwischen Handelsrecht und allgemeinem bürgerlichen Recht, ı 59
liegen haben, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn es zu einem be-
sonderen Handelsrechte kommen soll: es muß ein Handelsstand bestehen, es
muß diesem das allgemeine bürgerliche Recht nicht genügen, weil er mit seinem
Rechtsbedürfnisse vorausgeeilt ist, und es müssen die Verbindungen mit dem
Auslande auf die inländische Rechtsbildung Einwirkung gewonnen haben.
Unter diesen Voraussetzungen hat sich insbesondere das deutsche Handelsrecht
entwickelt, dem es förderlichst zugute kam, daß die materielle Gemeinsamkeit
der Bedürfnisse und Rechtsanschauungen und das Interesse des handeltreibenden
Teiles der deutschen Nation mächtig zu einheitlicher Gestaltung des Rechtes
drängten; so kam es, daß die deutschen Stämme auf diesem Gebiete eher als
auf anderen Rechtsgebieten zur Kodifikation und Rechtseinheit gelangt sind;
den Anregungen auf den deutschen Zollvereinskonferenzen ist sowohl die
Entstehung der allgemeinen deutschen Wechselordnung (1847, 1848), wie die
des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches (entworfen 1857—1861) zu
danken,
Diese beiden Gesetze bilden noch heute den Mittelpunkt des deutschen
Handelsrechts, wenngleich das letztere nun mehrfach abgeändert (1870, 1872,
1884, 1897) und durch viele Einzelgesetze ergänzt ist.
Den Kern des französischen Handelsrechts bildet der Code de commerce
(in Kraft seit ı. Januar 1808), der jedoch in seiner unveränderten Gestalt nur
mehr außerhalb Frankreichs gilt, in seinem Heimatlande aber stark umgeändert
worden ist; am bedeutsamsten ist, daß der Code de commerce die Grundlage
vieler anderer Handelsgesetzbücher wurde, so von Ägypten, Domingo,
Griechenland, Haiti, Monaco, vielfach allerdings unter starker Mitein-
wirkung des deutschen Handelsrechts; letzteres ist namentlich bei der neuesten
Gestaltung des italienischen Handelsrechts der Fall, das in jüngster Zeit
seinerseits wieder zur Grundlage des neuen portugiesischen und des rumä-
nischen Handelsrechts geworden ist.
Das in England geltende Handelsrecht hat von jeher zwei Bestandtteile:
allgemeines Handelsgewohnheitsrecht und detailliertes Statutarrecht; ersteres
wird als Teil des common law angesehen, von den Gerichtshöfen als law marchant
anerkannt, letzteres besteht aus zahlreichen einzelnen Gelegenheits- und manch-
mal auch viele solche zusammenfassenden Gesetzen, — eine Doppelrechtsbildung,
wie sie auch in Nordamerika besteht, allerdings dort unter Überhandnehmen
von Statutarrecht.
Ist die nordamerikanische Handelsrechtsbildung wie die der englischen
Kolonien im wesentlichen jener britischen Doppelrechtsgestaltung gefolgt, so
weist die Rechtsbildung in Zentral- und Südamerika den Anschluß an alt-
spanisches und altfranzösisches Handelsrecht auf; die Gesetzbücher der aus
portugiesischen und spanischen Kolonien hervorgegangenen amerikanischen
Staaten dürfen geradezu als Tochterrechte des vom französischen Rechte stark
beeinflußten spanisch-portugiesischen Handelsrechts bezeichnet werden.
Der dem Kern nach deutschen Rechtsgruppe können die Handels- und
Wechselrechte von Österreich, Ungarn, der Schweiz und von Japan,