Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

\Varenumsatz- 
geschäfte. 
Rügepflicht. 
Börsengeschäfte. 
170 KARL GAREIS: Handels- und Wechselrecht. 
verkörpert sind, nur mittels der Urkunde entstehen, bestehen und (regelmäßig) 
geltend gemacht — verwertet — werden können. Dieser zur äußersten Mobili- 
sierung der Werte überhaupt dienenden Kategorie von Waren gehören z.B. 
Staatsobligationen, Banknoten, Wechsel, Industrieaktien, Pfandbriefe u. dgl. 
an; es sind dies die hauptsächlichsten Objekte des Börsenverkehrs (s. unten), 
die der Effektenbörsen. Elektrizität wird zwar vielfach als Ware behandelt, 
ist aber keine: Verträge über Lieferung elektrischer Arbeit von x-Amperen 
oder über Lieferung elektromotorischer Arbeit von x-Volten sind keine Waren- 
umsatzgeschäfte, sondern Arbeitsverträge. In strafrechtlicher Hinsicht ist der 
sog. Elektrizitätsdiebstahl deutsch-reichsrechtlich besonders behandelt, nämlich 
die Entziehung elektrischer Arbeit in einem Reichsgesetz vom 9. April 1900. 
4. Obgleich die Warenumsatzgeschäfte dem Begriffe des Handels nach den 
innersten Kern der Handelsgeschäfte bilden und unter diesen der Kauf das 
wichtigste Geschäft ist, bedarf diese Geschäftsgruppe doch nur sehr weniger 
besonderer handelsrechtlicher Normen, insbesondere nachdem der Kauf im 
allgemeinen bürgerlichen Rechte zeitgemäß normiert ist. Ein sich langsam 
genug zur allgemeinen Anerkennung durchringender Gedanke ist der der handels- 
mäßigen Rügepflicht: ein Kaufmann, der im Handel eine Zusendung erhält, 
genehmigt sie, wenn er sie nicht ungesäumt beanstandet, es sei denn, daß es 
sich um einen Mangel handelt, der bei der handelsüblichen Untersuchung nicht 
erkennbar war. Eine solche Rügepflicht entspringt aus dem Prinzip von Treu 
und Glauben, welches den Handelsverkehr beherrscht und beherrschen muß; 
ihm entspricht auch die Antwortpflicht in Fällen, wo das Stillschweigen als 
Annahme oder als Reklamationsverzicht unter anständigen Kaufleuten auf- 
gefaßt wird. (Man vgl. nach Deutschem Handelsgesetzbuch mit $ 377 Abs. 2 
u. Abs. 3 die Vorschriften der $$ 362, 386, 391, 438 einer- und $ 60 Abs. 2, $ 112 
Abs. 2 anderseits.) Abgesehen von der Dispositionsstellung mangelhaft ge- 
lieferter bestellter Waren und der Dispositionsstellung anderer als bestellter 
Waren regelt das Handelsrecht vom Kaufe nur noch den Selbsthilfeverkauf, 
den Spezifikationsverkauf und das kaufmännische Fixgeschäft. 
5. Das eben erwähnte Fixgeschäft steht am Eingange zu den Geschäften 
des Börsenverkehrs: es führt ins Handelsrecht die Differenzenzahlung als 
Schadenersatzleistung wegen Nichterfüllung ein. Die reichsrechtliche Regelung 
des Börsenverkehrs weicht prinzipiell von der Regelung des übrigen Handels- 
verkehrs ab: die Einrichtung und Überwachung der Börsen und die rechtliche 
Behandlung der auf ihnen oder mit Bezug auf diese abgeschlossenen Termin- 
geschäfte geschieht von einem polizeistaatlichen Standpunkte aus, welchen die 
Reichsgesetzgebung hierin zum Schutze bestimmter wirtschaftlicher Interessen- 
sphären einnehmen zu müssen geglaubt hat, namentlich zum Schutze der 
agrarischen Interessen und zum Schutze des zum Börsenspiel geneigten 
unerfahrenen und dabei nur mäßig bemittelten Teiles der Bevölkerung. 
Die agrarischen Interessen hält man durch die Börsengeschäfte für ge- 
fährdet, weil man annimmt, es würde durch sie die freie und naturgemäße 
Preisbildung gehemmt und insbesondere der Preis des Getreides unter Um-
	        
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