Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Einleitung. 183 
Literatur des Auslandes freilich noch vorkommt, ist aber heute zum Teil mehr 
und mehr.als ungeeignet erkannt worden, da man sich überzeugt hat, daß in 
den meisten solcher Kollisionsfälle die in Betracht kommenden Gesetzgebungen, 
wenn man sie so auslegt, wie es der Natur der Sache entspricht, übereinstimmend 
der einen von ihnen die Entscheidung zuweisen. Die Gesetze der verschiede- 
nen Staaten beschränken sich mithin in gewissem Umfange in ihrer Anwendung 
in dem Territorium, für das sie eigentlich erlassen sind (gelten), um anderseits 
in anderen Territorien wiederum in gewissem Umfange Anwendung zu erlangen. 
Es würde z. B. völlig irrationell sein, unsere das Ehe- und Familienrecht be- 
treffenden Gesetze einfach auf Ausländer anzuwenden, die nur vorübergehend 
bei uns sich aufhalten; denn jene Gesetze beziehen sich auf Verhältnisse von 
längerer Dauer; die rechtlichen Beziehungen zwischen Ehemann und Ehefrau, 
zwischen Eltern und Kindern können nicht einem fortwährenden Wechsel, je 
nach dem augenblicklichen Aufenthaltsorte der Personen, unterworfen sein, 
und während unser Staat kein Interesse daran haben kann, jene Familien- 
verhältnisse von Ausländern, die nur zeitweilig sich bei uns aufhalten, zu regeln, 
hat unser Staat allerdings ein sehr großes Interesse daran, daß die Art und Weise, 
in der er jene Verhältnisse seiner Staatsangehörigen regelt, auch im Auslande 
und nötigenfalls von ausländischen Gerichten anerkannt werde. So betrachtet 
ist das Internationale Privatrecht — eigentlich müßte man sagen, die Privat- 
rechtsgesetzgebung mit Rücksicht auf den internationalen Verkehr — nichts 
anderes als der Inbegriff der Normen über die Zuständigkeit der einzelnen, 
das Privatrecht betreffenden Rechtssätze in internationaler Beziehung. Wenn 
gleich diese Zuständigkeitsnormen aus dem Zwecke der einzelnen materiellen 
Normen des Privatrechts, wie vorhin an Beispielen gezeigt wurde, sich ergeben, 
sosind dabei doch völkerrechtliche, freilich oft nur unbemerkt sich geltend 
machende, Schranken zu beachten. Erstens bedarf ein Gesetz, um im Gebiet 
eines anderen Staates irgendeine Wirksamkeit auszuüben, stets der ausdrück- 
lichen oder stillschweigenden Zustimmung desjenigen Staates, dem die be- 
treffende Gebietshoheit zusteht, und eine unbeschränkte Wirkung fremder Ge- 
setze kann ein Staat nur bei Übereinstimmung der Voraussetzungen und 
Wirkungen der in Anspruch genommenen Gewalt mit den im Staatsgebiete 
geltenden Gesetze anerkennen; er würde sonst aufhören, in seinem Gebiete 
Herrschaft zu üben. Zweitens kann rationellerweise ein Staat Ausländern, die 
im Auslande sich aufhalten, Verpflichtungen zu Handlungen oder Unterlassungen 
nur auferlegen, soweit solche Handlungen oder Unterlassungen im Inlande 
befindliches Vermögen betreffen; die Handlungsfreiheit von Ausländern im 
Auslande beschränken zu wollen, enthält eine Nichtachtung der Gebiets-, bzw. 
Personalhoheit anderer Staaten über ihre Angehörigen. Andererseits ist 
Voraussetzung eines wirklich umfassenden Systems eines internationalen 
Privatrechts neben der Anerkennung ausländischer Rechtsordnungen in dem 
ihnen der Natur der Sache nach zukommenden Herrschaftsgebiete auch eine 
umfassende Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Ausländer hinsicht- 
lich der unserer Rechtsordnung unterworfenen Rechtsbeziehungen.
	        
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