I. Geschichte des internationalen Privatrechts. 185
weitgehende Autonomie der einzelnen Genossenschaften vielfach zersplitterte
und verschiedene Recht begründet werden könne.
So entstand, da man die verschiedenen Gesetze und Rechte der einzelnen
Territorien und Länder als ‚„Statuta‘‘, als Abweichungen von dem subsidiär
als allgemein gültig betrachteten römischen Rechte bezeichnete, die in ihren
Grundzügen von den italienischen Rechtslehrern des späteren Mittelalters, den
sog. Postglossatoren, herrührende Statutentheorie. Gesetze, welche Sachen
betrafen, wurden als nur im Territorium, für das sie bestimmt waren, wirksame,
hier aber als ausschließlich wirksame Statuten angesehen. Dagegen sollte für
Personen als solche nur deren heimatliches Recht gelten, auch wenn sie in
unserem Territorium sich aufhielten, während wiederum über Handlungen das
Gesetz des Ortes der Handlung entschied.
Diese von französischen und später besonders auch niederländischen
Juristen fortgebildete Theorie ruht im letzten Grunde auf der dem Mittelalter
eigenen Vorstellung, daß der Gesetzgeber nur eine beschränkte Macht über das
Recht besitze; der Gesetzgeber — so wurde geschlossen — kann nicht bestim-
men über das persönliche Recht von Personen, die ihm nicht angehören, auch
wenn sie in seinem Gebiete sich aufhalten; er kann nicht Bestimmungen treffen
über Handlungen, die sich in fremdem Gebiete vollziehen. Daher wurde das
Fundament dieser Theorie erschüttert und noch mehr ihre Anwendung, als
ohnehin der Fall war, kontrovers, als die Idee der vollen Souveränität des Ge-
setzgebers sich seit dem 17. Jahrhundert mehr und mehr geltend machte. Man
entdeckte, daß der Gesetzgeber, wenn er wollte, in seinem Gebiete, vor seinen
Gerichten die Anwendung aller und jeder ausländischen Gesetze ausschließen
könne. Nur sollte er kraft freundnachbarlicher Rücksicht, kraft der ‚‚Comitas
nationum‘‘, wie man sich ausdrückte, dies nicht schonungslos tun. Die Folge
war, daß der ganzen Lehre das strenge Rechtsfundament in großem Umfange
entzogen wurde, und schwankende, zum Teil recht irreführende, vage Nütz-
lichkeitserwägungen für oder meistens gegen die Anwendung ausländischer
Rechtsnormen sich geltend machten. Das Gesetz des urteilenden Richters,
die Lex fori, wurde so in einem sehr weiten Umfange von vielen für vorherrschend
anwendbar erachtet; denn schließlich wird es bei der Beurteilung eines konkreten
Rechtsverhältnisses immer darauf ankommen, wie der urteilende Richter die
Streitfrage ansieht; der Richter aber schuldet dem souveränen Gesetzgeber
unbedingten Gehorsam.
Die Statutentheorie war übrigens innerlich verfehlt, weil Gesetze, die
ihrer Wortfassung nach nur Personen zu betreffen scheinen, auch die Gültigkeit
und Wirksamkeit der Handlungen der Personen oder die Übertragung von
Rechten an Sachen bedingen können, und weil man, statt nach dem Zwecke
der verschiedenen Rechtssätze zu fragen und ihm entsprechend diesen extra-
territoriale Wirksamkeit beizulegen oder zu versagen, sich an die Wortfassung
zu halten pflegte, die vielfach irreführen mußte, da nicht selten ein und der-
selbe Rechtssatz sich so ausdrücken läßt, daß er in einer Fassung Personen,
in einer anderen Handlungen, in einer dritten Sachen zu betreffen scheint.
Die sog.
Statutentheorie.
Neuere Zeit. Die
Souveränitäts-
idee.
Unhaltbarkeit
der
Statutentheorie.