Rechtszwang.
Kritische Er-
wägung eines
gegebenen
Fechtsinhaltes
2 RUDOLF STAMMLERs Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
schaftlichen Daseins der Menschen der Rechtsgedanke zweifellos auftritt,
und in diesem die allgemein ermöglichenden Bedingungen für den Begriff des
Rechtes durch kritische Besinnung festzustellen und in seinem formalen Ver-
hältnis zu Moral und Sitte und willkürlicher Gewalt zu bestimmen.
Hierbei tritt jedoch vor allem anderen und von vornherein ein Merkmal
hervor, das unbestritten dem Rechte als solchem eignet: das Moment des
rechtlichen Zwanges. Es ist nicht nötig, über dessen Erschaffung und Er-
klärung an dieser Stelle schon eine bestimmte Vorstellung sich zu machen,
es genügt zum Entwerfen der Fragestellung die Beobachtung, daß jede juri-
dische Ordnung, eben in ihrer Eigenschaft als ‚‚rechtliche‘‘, den Anspruch er-
hebt, ein ihr widerstrebendes Wollen niederzubeugen und das von ihr geregelte
Verhalten der Unterstellten auch tatsächlich zu erwirken. Es ist dieser Zwangs-
anspruch des Rechtes, der dann nicht selten einer grundsätzlichen Anzweif-
lung unterlegen ist, in besonderer Art in der Neuzeit von der Theorie des
Anarchismus. Und einem solchen Zweifel kann wieder nur durch theoretische
Begründung des Rechtszwanges begegnet werden, eine Begründung,
von der in sich klar ist, daß sie auf das Wesen des Rechtes in unbedingt
allgemeiner Art zurückzugehen hat, dagegen nicht auf die Betrachtung des
bedingten Inhaltes einer besonderen rechtlichen Ordnung gestützt zu wer-
den vermag.
Allein auch wenn jemand gerade den gegebenen Inhalt eines geschicht-
lichen Rechtes kritisch ansieht, so bedarf er zu einem sachlich abwägenden
Urteil eines allgemein geltenden Maßstabes. Denn hier kommt der eigene
Zweifel, der nie zu unterdrücken ist: Ob eine bestimmte Regel, die von Rechts
wegen positiv besteht, so denn auch sein sollte? Entspricht die gerade gel-
tende rechtliche Norm oder Einrichtung in ihrer bedingten Lage dem Gedanken
der Gerechtigkeit? Ist unter den vorliegenden Umständen diese oder jene
Bestimmung des Rechtes die richtige?
Die Frage nach dem Wesen des Rechtes löst sich daher in drei Auf-
gaben auf:
I. Was ist Recht? Welcher allgemeine Begriff liegt also jeder Rechts-
betrachtung unbedingt zugrunde, damit sie überhaupt eine ‚‚rechtliche‘* mit
Fug heißen kann? |
2. Begründung der verbindenden Art des Rechtes: Wie ist es
zu begreifen, daß jedes Rechtsgebot, gleichviel wie sein Inhalt laute, nur weil
es eine „rechtliche‘‘ Norm ist, Gehorsam richtigerweise fordern darf?
3. Wann ist der Inhalt einer Rechtsnorm sachlich begrün-
det? Was für ein einheitliches Verfahren hat der ‚„rechtlich‘‘ Wollende zu
beobachten, wenn der bestimmte Inhalt seines Wollens richtig sein soll?
Alle drei Probleme haben das gemeinsam, daß sie sich durch das bloße
Betrachten der Besonderheiten von bestimmten geschichtlichen Rechten nicht
erledigen lassen. Die hierbei zu entwickelnden Begriffe und Lehren haben un-
bedingt bei jedem denkbaren Rechte Anwendung zu finden. So muß auch die
Lösung in einer eigenen grundlegenden Methode beschafft werden, deren