System des Zivilprozeßzechts. V. Die Verhandlung. 2II
Für diesen Umschwung war das Vorbild des französischen Prozesses bedeutsam.
Die Vorteile der mündlichen Verhandlung im Vergleiche zu dem schriftlichen
Verfahren sind unverkennbar. Die mündliche Verhandlung bringt das Gericht
in unmittelbare Berührung mit den Parteien und bietet ihm die Gelegenheit,
auf die Erklärungen der Parteien in dem Sinn einzuwirken, daß sich die Er-
klärungen auf das Wesentliche konzentrieren. Frivole Behauptungen und Be-
streitungen können in einem mündlichen Verfahren leichter zurückgedrängt
werden als in einem schriftlichen. Auch bietet das mündliche Verfahren die
Chance rascherer Erledigung der Prozesse.
Übrigens ist der Grundsatz der Mündlichkeit nicht ohne Modifikationen
durchgeführt. Die die Instanz einleitenden Parteierklärungen (Klage, Berufung,
Revision, Beschwerde) sind schriftlich oder, soweit kein Anwaltszwang besteht,
zu Protokoll des Gerichtsschreibers abzugeben. Im Anwaltsprozeß ist für die
Anträge die Schriftform vorgesehen. Ferner können im Lauf eines Prozesses
Entscheidungen über nebensächliche Punkte gefällt werden, ohne daß münd-
liche Verhandlung obligatorisch ist. In Prozessen über die Richtigkeit von Rech-
nungen, über Vermögensauseinandersetzungen und ähnliche Verhältnisse kann
das Landgericht anordnen, daß die mündliche Verhandlung durch ein proto-
kollarisches Verfahren vor einem Mitgliede des Kollegiums vorbereitet werde.
Um Überraschungen in der Verhandlung zu vermeiden, soll im Anwaltsprozesse
die mündliche Verhandlung durch unverbindliche Schriftsätze vorbereitet
werden, in denen sich die Parteien mitteilen, was sie in der Verhandlung vorzu-
bringen gedenken. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift hindert aber die Parteien
nicht, ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, das nicht vor-
her angekündigt war. Im Verfahren vor dem Amtsgericht ist ein vorbereiten-
der Schriftenwechsel nicht verlangt, aber auch nicht ausgeschlossen. Zur Be-
urkundung der Vorgänge in der mündlichen Verhandlung dienen das Sitzungs-
protokoll und die Darstellung des Prozeßgangs (Tatbestand) im Urteile.
Die mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht ist in der Regel
öffentlich. ; die Öffentlichkeit kann aber unter gewissen Umständen ausgeschlossen
werden. Die Öffentlichkeit hat für den Zivilprozeß nicht die Bedeutung wie für
den Strafprozeß, weil die privatrechtlichen Angelegenheiten, über die im Zivil-
prozesse zu entscheiden ist, ihrer großen Mehrzahl nach für das Publikum kein
Interesse bieten.
Finden in einem Prozesse vor Erlassung des Urteils mehrere mündliche
Verhandlungen statt, so gelten sie als eine Verhandlung in dem Sinne, daß die
Parteien bis zum Schlusse der letzten Verhandlung immer noch neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel vorbringen können (Einheit der Verhandlung). Aber es gibt
einzelne Ausnahmen. Im Verfahren vor den Landgerichten können die sog.
prozeßhindernden Einreden, soweit sie dem Verzicht unterliegen, von dem Be-
klagten nicht mehr geltend gemacht werden, nachdem er sich auf die mündliche
Verhandlung zur Hauptsache eingelassen hat. Prozeßhindernd sind gewisse
Verteidigungsbehelfe, in denen die Klage aus prozeßrechtlichen Gründen, z. B.
wegen Unzuständigkeit des Gerichts, wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs,
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Modifikationen
der
Mündlichkeit.
Oflentlichkeit
der
Verhandlung.
Einheit der
Verhandlung.
Prozeßhindernde
Einreden.