Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Beweis 
und 
Gegenbeweis. 
Beweis- 
verbindung. 
214 LOTHAR VON SEUFFERT: Zivilprozeßrecht. 
Tatsachen zu beweisen hat, von deren Vorhandensein die Vorschriften des 
materiellen Rechtes die Entstehung des subjektiven Rechtes abhängig machen. 
Sache des Beklagten ist es, die Tatsachen zu beweisen, welche das für den 
Kläger entstandene Recht beendigen oder dessen Ausübung hemmen. Neben 
dieser allgemeinen Regel gibt es zahlreiche Spezialvorschriften über die Ver- 
teilung der Beweislast. Solche Vorschriften sind teils im Prozeßgesetze, teils 
in den Gesetzen des bürgerlichen Rechtes enthalten. Das Bürgerliche Gesetzbuch 
für das Deutsche Reich verfügt in zahlreichen Stellen über die Beweislast, indem 
es entweder ausdrücklich anordnet oder durch die Fassung seiner Paragraphen zu 
erkennen gibt, wen für gewisse Behauptungen die Beweislasttrifft. Zu den Vor- 
schriften über die Beweislast gehören auch die gesetzlichen Vermutungen, d.s.Vor- 
schriften, wonach unter gewissen Voraussetzungen eine Tatsache bis zum Beweise 
des Gegenteils als feststehend anzunehmen ist, z. B. die Vermutung, daß ein Ver- 
schollener, der für tot erklärt worden ist, in dem Zeitpunkte gestorben sei, welcher 
in der gerichtlichen Todeserklärung als Zeitpunkt des Todes angegeben ist und 
daß er bis zu diesem Zeitpunkte gelebt habe. Auch die zahlreichen Auslegungs- 
regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind für die Beweislast bedeutsam, indem sie 
die Beweislast derjenigen Partei zuwälzen, welche eine andere als diefür den Zwei- 
felsfall angeordnete Auslegung einer rechtsgeschäftlichen Bestimmung vertritt. 
Den Beweis, welchen die mit der Beweisführung belastete Partei zu führen 
unternimmt, heißt man Beweis im engeren Sinne, während der Beweis, dessen 
Führung der Gegner unternimmt, Gegenbeweis genannt wird. Die Beweis- 
führung kann direkt auf die Tatsache gerichtet sein, mit der die Rechtswirkung 
eintritt; sie kann aber auch auf eine Tatsache gerichtet sein, aus der ein Schluß 
auf die Wahrheit oder Unwahrheit der rechtswirksamen Tatsache gezogen 
werden kann; in diesem Falle spricht man von einem indirekten oder Indizien- 
beweis. Soweit die Verhandlungsmaxime gilt, hat das Gericht nur diejenigen 
Beweise aufzunehmen, welche von den Parteien beantragt sind (vgl. o. S. 213). 
Im Eheprozeß, im Kindschaftsprozeß und im Entmündigungsprozeß kommen 
Ausnahmen vor, weil hier die Verhandlungsmaxime durchbrochen ist. 
Die Antretung des Beweises und des Gegenbeweises ist mit dem Vortrage 
der Tatsachenbehauptungen und der Bestreitungen zu verbinden (System der 
Beweisverbindung). Nach dem früheren gemeinen Prozeßrechte waren die 
Behauptungen und Bestreitungen einerseits und die Antretung des Beweises 
anderseits in zwei durch das Beweisurteil getrennte Prozeßabschnitte ver- 
wiesen. In dem ersten Abschnitte wurden die Behauptungen und Bestreitungen 
vorgebracht. Ergab sich hiernach das Bedürfnis des Beweises, so erging ein 
Beweisurteil, in dem das Gericht die des Beweises bedürftigen Tatsachen be- 
zeichnete und bestimmte, welche Partei sie zu beweisen habe. Dieses Urteil 
war für das Gericht bindend; das Gericht mußte auf Grund der Tatsachen- 
behauptungen, die es zum Beweis ausgesetzt hatte, die Entscheidung fällen. 
Weil das Beweisurteil die bindende Unterlage des Endurteils bildete, konnte es 
wie das Endurteil mit Berufung angefochten werden. War das Beweisurteil 
rechtskräftig, so folgte im zweiten Abschnitte des Verfahrens die Antretung
	        
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