Natur des
Menschen.
4 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
tur entspricht. — Dabei ist als ‚die Natur‘, die hier als Maßstab für den
Inhalt des Rechtes auftritt, ein Doppeltes aufgenommen worden: bald die
Natur des Menschen, bald die des Rechtes.
In erster Linie hat man von alters her versucht, die menschliche Na-
tur zu verwerten. Besonders stark geschah dies, als Hugo Grotius es unter-
nahm, in dieser Weise eine allgemeingültige Grundlage des Rechtes zu finden,
die von jeder Unterstützung durch kirchliche Lehre unabhängig sei, und die auch
ein Atheist als wissenschaftlich feststehend anzunehmen habe. Die Natur
dachte man sich dabei als bestimmte Grundeigenschaften, die einem jeden
Menschen allgemeingültig und in unbedingter Weise zukämen. Welche Eigen-
schaften dies jedoch wären, darüber gingen die Ansichten ständig weit aus-
einander. Grotius gab als solche den apdetitus socielatis an, den natürlichen
Trieb des Menschen nach dauernder und friedlicher Vereinigung mit seines-
gleichen, Hobbes umgekehrt die Furcht des einen vor dem anderen, aus der
in Ermanglung des Rechtes ein bellum omnium contra omnes entspringen würde;
Pufendorf verwies auf den Selbsterhaltungstrieb aller Lebewesen und auf die
natürliche Hilflosigkeit (Imbecsllstas) des Menschen, die ihn zu einer diese über-
windenden Geselligkeit (socialitas) führen müsse, und Thomasius berichtigte
dieses in der Aufstellung des menschlichen Grundtriebes, möglichst lang und
glücklich zu leben. — Und diese Verschiedenheit der Angaben setzt sich bis
in die neue Zeit fort, in der die Berufung auf ‚die menschliche Natur‘‘ nament-
lich in der Literatur des Sozialismus ihre Rolle spielt. Hier ist sie bald zu dessen
Empfehlung erfolgt, wie in dem utopischen Aufbau des Phalanstere des Fourier,
bald zu seiner Bekämpfung angezogen worden, z. B. von Ad. Wagner, Schäfer
u. a., die den sozialistischen Staat mit der menschlichen Natur für unvereinbar
erklären und nun allerdings als Kernzug dieser bald die Wirtschaftlichkeit,
bald auch deren Gegenteil, verbunden mit dem Trieb nach Ehre und Auszeich-
nung, sowie das Freiheitsgefühl angeben.
In der Tat ist das Heranziehen der ‚Natur‘ des Menschen bei dem Be-
arbeiten der naturrechtlichen Aufgaben methodisch ungeeignet gewesen. Denn
wenn man alle geschichtlichen Besonderheiten in den Eigenschaften und Trie-
ben der Menschen, wodurch sie sich in der Erfahrung zweifelllos voneinander
unterscheiden, wegläßt, so bleibt überhaupt nichts übrig, als physiologische
Anlagen, die der Ausbildung und Erziehung noch harren. Hieran ändert auch
der Hinweis auf die „Eigenliebe‘‘ eines jeden Menschen, als natürliche Trieb-
feder behauptet, deshalb nichts, weil dies in sich noch undeutlich und vag
ist. Es bleibt offene Frage, in welcher Stärke und in was für einer Rich-
tung den einzelnen die Liebe zu sich selbst treibt oder hinreißt. Schon die ge-
wöhnliche Beobachtung liefert hier genug Material zur Feststellung der aller-
größten Verschiedenheiten in der Verfolgung der Zwecke, auf deren Art und
Weise hier ja alles ankommt. Die rechte Art der Zwecksetzung ist eben
nicht von Natur dem Menschen eingepflanzt. Er bringt sie nicht mit auf
die Welt; noch auch entwickelt sie sich an ihm, als natürlichem Lebewesen, in
naturnotwendiger und bei allen Menschen völlig gleicher Weise. Vielmehr muß