Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des Zivilprozeßrechts. Schlußbetrachtung. 231 
Kläger als gegenüber dem Beklagten anders als bei der Versäumung des ersten 
Termins geregelt werden. — Auch in Ansehung der Beweisaufnahme kann 
manches geändert werden. In den Vorschriften über den Urkundenbeweis 
sollte bestimmt werden, daß das Gericht nach der mündlichen Verhandlung 
öffentliche Behörden und öffentliche Beamte um Mitteilung von Urkunden 
oder um amtliche Auskünfte ersuchen kann, auch wenn die Partei das nicht 
beantragt hat. Zu erwägen ist, ob nicht die Vorschriften über den Parteieid 
geändert werden sollen. Es wäre m. E. zweckmäßig, dem Gerichte die Befug- 
nis einzuräumen, auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen die Verneh- 
mung der Parteien und deren Beeidigung anzuordnen. Wenn dem Gerichte 
diese Befugnis eingeräumt wird, entfallen die Zuschiebung und die Zurück- 
schiebung des Parteieides und das bedingte Endurteil ist entbehrlich. — Wei- 
tere Beschränkungen der Rechtsmittel wären unzweckmäßig; man sollte sogar 
die Zulässigkeit der Revision erweitern. Die Restitutionsklage sollte auch aus 
anderen als den jetzt in der deutschen Ziviprozeßordnung enthaltenen Gründen 
zugelassen werden, insbesondere auf Grund der Entdeckung neuer Tatsachen 
und neuer Beweismittel. Die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung 
können vereinfacht werden. 
Unter den veröffentlichten Reformvorschlägen sind aber auch solche, vor 
deren Verwirklichung der Verfasser dieses Artikels warnen zu müssen glaubt. 
Dazu gehört vor allem das Verlangen nach einer übermäßigen Verstärkung der 
Richtermacht. Solches Verlangen entspricht dem bureaukratischen Geiste, 
der leider in weiten Kreisen des Juristenstandes herrscht. Die Erfüllung des 
Verlangens würde einen Rückschritt in der Entwicklung des deutschen Prozeß- 
rechts bedeuten. Nicht anders steht es mit dem Verlangen nach Beschränkung 
des Grundsatzes, daß die maßgebende Verhandlung vor dem erkennenden Gericht 
eine mündliche sein muß. Wenn die mündliche Verhandlung in das Ermessen 
des Gerichts gestellt wird, wird sie aus der großen Mehrzahl der Prozesse aus- 
geschaltet werden, wie das jetzt schon in denjenigen Fällen geschieht, wo die 
mündliche Verhandlung bloß fakultativ ist. Auch der Grundsatz der Einheit 
der mündlichen Verhandlung (s. 0.5. 21I) muß im Interesse der Bewegungs- 
freiheit der Parteien beibehalten werden. 
Endlich dürfte eine Warnung am Platze sein gegen ein weiteres Fort- 
schreiten auf dem durch die Einführung der Gewerbegerichte und der Kauf- 
mannsgerichte betretenen Wege. Diese beiden Gerichte sind Standesgerichte, 
und die Beisitzer dieser Gerichte, welche von den sich sozial-politisch gegen- 
überstehenden Parteien gewählt werden, lassen sich bewußt oder unbewußt 
bei Ausübung des Richteramts von Standes- und Parteiinteressen beeinflussen. 
Würden auch für andere Berufskreise besondere Gerichte geschaffen, die mit 
Richtern aus den Interessentengruppen besetzt würden, so würde die Gefahr 
solcher Beeinflussung mehr und mehr anwachsen und der oberste Grundsatz 
einer gesunden Rechtspflege, nämlich die Ausübung des Richteramtes durch 
unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Richter ginge in die Brüche. Eine 
völlige Zersetzung der ordentlichen Gerichtsbarkeit müßte das Ende sein.
	        
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