Romantische
Grundlage.
Der Volksgeist.
6 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Welcher denkende Mann wird denn auf das Nachsinnen über die rechte all-
gemeine Methode aller Rechtsbetrachtung und die Möglichkeit eines festen
Haltes gegenüber den zerstreuten Einzelheiten verzichten und sich zum bloßen
Techniker begrenzter Paragraphen machen wollen! — Der Fehler jener Ver-
suche aus der Aufklärungsperiode lag vielmehr in der Art der Ausführung, da
sie nämlich ein ausgeführtes Rechtsbuch mit einem unwandelbaren Inhalt
entwarfen. Das geht nicht an. Denn der Inhalt des Rechtes geht auf die Rege-
lung von menschlichem Zusammenwirken, das auf Bedürfnisbefriedigung ge-
richtet ist. Alles, was sich aber auf menschliche Bedürfnisse und auf die Art
von deren Befriedigung bezieht, ist steter Veränderung unterworfen. Es gibt
keinen einzigen Rechtsschutz, der seinem positiven Inhalte
nach unbedingt feststände. — Statt dessen kann nur die Aufgabe be-
stehen, eine allgemeingültige formale Methode festzustellen, in der man
den notwendig wechselnden Stoff geschichtlich bedingten Rechtes dahin richten
und bestimmen mag, daß er die Eigenschaft des objektiv Richtigen erhält.
II. Die historische Rechtsschule. Dies ist eine besonders geartete
Rechtsphilosophie, die im Beginne des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang
mit der.allgemeinen Richtung jener Zeit, der Romantik, entstand. Ihre letzte
maßgebliche Auffassung ist die, daß neben dem Menschen überindividuelle
Wesenheiten stehen, deren höchste das ‚Volk‘ sei. Sie stellen reale leiblich-
geistige Einheiten dar. Von besonderer Bedeutung sei die Seele des Volkes,
ein psychisches Gesamtphänomen, welches zwar für sich wissenschaftlich nicht
erforschlich sei, das aber seine Realität innerhalb der Welt der Erfahrung darin
erweise, daß es in den Gliedern des Volkes gewisse gemeinsame Überzeugungen
über mancherlei Fragen erwecke. Wenn diese auf „rechtliche‘‘ Dinge gerichtet
sei, so sei sie, die Überzeugung, bereits das Recht. Der Gesetzgeber
habe das schon bestehende Recht nur zu formulieren und zu redigieren.
„Das Volk“, sagt Savigny, „ist eine natürliche Einheit, welche durch die
einander ablösenden Geschlechter hindurchgeht‘‘;... „es ist der in allen einzel-
nen gemeinschaftlich wirkende Volksgeist, der das positive Recht erzeugt,
das also für das Bewußtsein jedes einzelnen, nicht zufällig, sondern notwendig
ein und dasselbe Recht ist.“
Die Einheit, die nach dieser Rechtstheorie allen einzelnen rechtlichen
Sätzen und Einrichtungen zugrunde liegt, ist hiernach der Volksgeist, der
als eigenes Ding außer uns existiere. Er ist also auch der eigentliche Gegen-
stand jeder hier einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchung. Die Betrach-
tung der Sprache, der Sitte, des Rechtes eines Volkes ist nur ein Mittel zu einer
Erkenntnis des Waltens eines Volksgeistes, die sich vervollkommnen, wenn-
gleich nicht in abgeschlossener Vollständigkeit erreichen läßt. Daraus ergibt
sich weiterhin als grundlegende Aufgabe der rechtswissenschaftlichen Unter-
suchung die rechtshistorische Frage, — nicht bloß, weil das Gewordene aus der
analytischen Verfolgung seines Werdeganges in seinem bedingten Dasein deut-
licher beleuchtet und durchschaut werden kann, sondern in der Absicht, das