A. Das Strafrecht. II. Der Aufbau des geltenden Rechtes. 243
Verfolgten; bei der Ausübung eines Züchtigungsrechtes; bei Vornahme einer
durch das Gesetz zugelassenen Hausdurchsuchung usw. Es sei endlich auch
darauf hingewiesen, daß die Vornahme einer ärztlichen Operation, falls dabei
die Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Kunst beachtet worden sind (zu
diesen Voraussetzungen wird meist auch die Einwilligung des Kranken gehören),
nicht als rechtswidrige Körperverletzung erscheint; doch hat gerade diese
Gruppe von Fällen eine lebhafte, immer noch nicht ausgetragene, Kontroverse
hervorgerufen.
Das Verbrechen ist endlich schuldhafte rechtswidrige Handlung, d. h.
es muß die zurechenbare Handlung eines zurechnungsfähigen Menschen sein.
Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit bietet der Rechtsanwendung verhältnis-
mäßig geringe Schwierigkeiten; in der Wissenschaft ist er überaus bestritten.
Während die einen die Zurechnungsfähigkeit nur auf das Postulat der Willens-
freiheit stützen zu können glauben, erblicken die anderen in ihr nichts weiter
als die normale Motivierbarkeit, also die innerhalb der Grenzen des Normalen
sich bewegende Reaktion auf äußere oder innere Reize. Die Gesetzgebung hat
sich darauf beschränkt, die Fälle hervorzuheben, in welchen die Zurechnungs-
fähigkeit entfällt. Dahin gehört zunächst die Geisteskrankheit, soweit durch
sie die „freie Willensbetätigung‘‘, d. h. die normale Reaktion ausgeschlossen
wird. Dasselbe gilt von den Störungen des Bewußtseins. Unbedingt nicht
zurechnungsfähig ist ferner das Kind bis zum vollendeten 12. Lebensjahr. In
der Altersperiode vom 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre muß bei jedem
einzelnen Delikt geprüft werden, ob der Täter die zur Erkenntnis der Straf-
barkeit seines Tuns erforderliche Einsicht gehabt hat oder nicht. Im ersten
Fall tritt Verurteilung mit Strafmilderung, im zweiten Freisprechung ein. Doch
kann sowohl dem Kind als auch dem freigesprochenen Jugendlichen gegenüber
die Fürsorgeerziehung eingeleitet werden. Auch bei dem Taubstummen wird
die erforderliche Einsicht in jedem einzelnen Falle besonders geprüft; ihr Mangel
hat Freisprechung, ihr Vorliegen Verurteilung, aber ohne Strafmilderung,
zur Folge.
Die Handlung des Zurechnungsfähigen wird ihm aber nur dann zuge-
rechnet, wenn er schuldhaft, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.
Der Vorsatz besteht in der Kenntnis der sämtlichen Tatbestandsmerkmale und
damit in der Voraussicht des Erfolges; die Fahrlässigkeit in der vermeidbaren
Unkenntnis dieser Momente. Vorsatz ist das „Kennen‘‘, Fahrlässigkeit das
„Kennenmüssen‘‘ der Willensbetätigung mit Einschluß ihres Erfolges. Doch
verlangt eine weitverbreitete Ansicht zum Begriff des Vorsatzes außer dem
„Kennen“ oder ‚Wissen‘ auch das ‚Wollen‘‘ des Erfolges (Willenstheorie im
Gegensatz zur Vorstellungstheorie). Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal
schließt daher stets den Vorsatz, unverschuldeter Irrtum auch die Fahrlässig-
keit aus. Ob auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zu den Merkmalen des
Vorsatzbegriffes gehört, ist sehr bestritten; die überwiegende Meinung verneint
die Frage. Von Eventualvorsatz spricht man, wenn der Täter den Erfolg als
möglich vorausgesehen und für den Fall seines Eintrittes mit in Kauf genommen
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