A. Das Strafrecht. II. Der Aufbau des geltenden Rechtes. 249
Zeiten eines Notstandes geschlossen worden sind, und endlich die Verletzung
der Regeln der Baukunst.
Die vierte und letzte Gruppe enthält in einem einzigen (dem 28.) Ab-
schnitt die Delikte im Amt; eine Gruppe, die in reicher Ausgestaltung die ver-
schiedenen möglichen Fälle unter Strafe stellt, aber in den Zahlenreihen unserer
Reichskriminalstatistik glücklicherweise eine sehr unbedeutende Rolle spielt.
d) Die 370 Paragraphen unseres Reichsstrafgesetzbuches bilden aber nur
die kleinere Hälfte der vom Reich erlassenen Strafdrohungen. Ganz abgesehen
von dem Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872, sind in etwa anderthalb
Hundert Reichsgesetzen Strafdrohungen von sehr verschiedener praktischer
Bedeutung enthalten, die von den einfachsten Ordnungsstrafen bis zur Todes-
strafe fortschreiten. Wir finden unter ihnen das Preßgesetz (1874), die Gewerbe-
ordnung, die Zoll- und Steuer-, Bank- und Börsengesetze, die Gesetze über die
Urheber- und Erfinderrechte, das Nahrungsmittelgesetz (1879), die Arbeiter-
versicherungsgesetze seit 1883, das Sprengstoffgesetz (1884), die Gesetze gegen
den Verrat militärischer Geheimnisse (1893), gegen Sklavenraub und Sklaven-
handel (1895), gegen den unlauteren Wettbewerb (1896), gegen die Entziehung
elektrischer Kraft (Igoo), das Handelsgesetzbuch, die Seemannsordnung und
zahlreiche andere größere oder kleinere Gesetze. Fast jedes von ihnen könnte
als Beweis für die nicht mehr zu bestreitende Tatsache verwertet werden, daß
unserer Strafgesetzgebung die legislative Technik mehr und mehr abhanden ge-
kommen ist. Jeder innere Zusammenhang zwischen den allgemeinen Grund-
sätzen des Strafgesetzbuches und den Sonderbestimmungen dieser strafrecht-
lichen Nebengesetze fehlt, überall wird das Gleichmaß der Strafdrohungen ver-
letzt. Wissenschaft und Rechtsprechung stehen ratlos vor diesem jahraus jahrein
anschwellenden Wust von neuen, des inneren Zusammenhanges völlig ent-
behrenden deliktischen Tatbeständen.
Die strafrecht-
lichen Neten-
gesetze.
3. Die Strafe. a) Die Strafmittel. Das Strafgesetzbuch kennt Haupt- Das Strafen-
und Nebenstrafen. Zu den Hauptstrafen gehören Todesstrafe, Freiheitsstrafe
system des
? Reichsstraf-
Geldstrafe und der Verweis, der aber nur Jugendlichen gegenüber bei leichteren gesetzbuches.
Straftaten zur Anwendung gelangt.
Die Todesstrafe ist durch Enthaupten, nach dem Militärstrafgesetzbuch
durch Erschießen zu vollstrecken; in den deutschen Schutzgebieten kann durch
kaiserliche Verordnung eine andere, eine Schärfung nicht enthaltende Art der
Todesstrafe eingeführt werden (so das Erhängen). Die Art, in welcher die Ent-
hauptung stattzufinden hat, wird durch die Landesgesetze bestimmt; in den
alten preußischen Provinzen erfolgt sie durch das Beil, in der Rheinprovinz
und in anderen deutschen Staaten durch das Fallbeil. Nach den Bestimmungen
der Strafprozeßordnung ist die Todesstrafe innerhalb der geschlossenen Ge-
fängnismauern in Gegenwart von Urkundspersonen zu vollstrecken.
Die Todesstrafe ist angedroht (abgesehen von den Fällen des Kriegs-
rechtes) 1. bei Mord; 2. bei Mordversuch gegen den Kaiser, den eigenen Landes-
herrn des Täters und den Landesherrn des Aufenthaltsstaates; 3. bei vorsätz-
licher Gefährdung des Lebens, der Gesundheit oder des Eigentums eines anderen