Das Straf-
verfahren als
Parteiprozeß.
264 FRANZ von LisZT: Strafrecht und Strafprozeßrecht.
teien zustande gekommen. Das zeigt sich bereits in der Gerichtsverfassung, die
die Freunde und die Gegner der Laienbeteiligung, die Anhänger des Schwur-
gerichts wie die des Schöffengerichts befriedigen sollte: nebeneinander finden
wir Schöffengerichte für Strafsachen unterster Ordnung; die bloß mit beamteten
Richtern besetzten Strafkammern für Strafsachen mittlerer Ordnung; Schwur-
gerichte für die schwersten Verbrechen. Daneben noch das Reichsgericht als
Gericht erster und letzter Instanz bei Hoch- und Landesverrat gegen Kaiser
und Reich, sowie bei Ausspähung militärischer Geheimnisse. Dieser Ver-
schiedenheit der in erster Instanz entscheidenden Gerichte entspricht der vier-
fach verschiedene Aufbau des ganzen Verfahrens. Ihr entspricht aber vor allem
die verschiedene Gestaltung der Rechtsmittel. Die Berufung ist nur gegenüber
den schöffengerichtlichen Urteilen zugelassen; gegen Urteile der Strafkammern
und der Schwurgerichte ist lediglich die Revision gestattet. Zu dieser Zer-
splitterung des Strafprozesses in eine ganze Reihe von verschieden gestalteten
Prozeßarten kommt dann noch eine überaus klägliche legislative Technik.
Inhaltlich wie formell gehört die Reichsstrafprozeßordnung zu den am wenigsten
erfreulichen Leistungen unserer Reichsgesetzgebung.
Neben die bürgerliche Prozeßordnung ist die Militär-Gerichtsordnung vom
I. Dezember 1898 getreten. Sie ist jener im allgemeinen nachgebildet, über-
trifft sie aber durch die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses wie durch die ein-
heitliche Regelung des Rechtsmittelsverfahrens, indem sie die Berufung gegen
Urteile der Standgerichte wie gegen die erstinstanzlichen Urteile der Kriegs-
gerichte zuläßt, der Revision also den Charakter eines die Sache in die dritte
Instanz ziehenden Rechtsmittel wahrt.
Mit diesen beiden Gesetzen hat das französische Strafverfahren seinen
siegreichen Einzug auch in das Deutsche Reich vollzogen.
Il. Das geltende Recht. 1. Die allgemeinen Grundsätze.
a) Das Wesen auch des deutschen Strafprozesses besteht in seiner Ausgestaltung
als Parteiprozeß. Beleidigungen und Körperverletzungen können, soweit
die Verfolgung nur auf Antrag eintritt, von dem Verletzten im Wege der Privat-
klage verfolgt werden, ohne daß es einer vorgängigen Anrufung der Staats-
anwaltschaft bedarf. Dasselbe gilt von einzelnen Tatbeständen des unlauteren
Wettbewerbs. In allen anderen Fällen tritt die von der Staatsanwaltschaft zu
erhebende öffentliche Klage ein. Und zwar ist die Staatsanwaltschaft in
der Regel ohne weiteres zur Erhebung der Klage berechtigt; nur ausnahms-
weise ist ihr Einschreiten dadurch bedingt, daß der Verletzte den Antrag auf
Verfolgung stellt (Antragsdelikte), so bei Beleidigungen und leichteren Körper-
verletzungen, bei Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch usw. Und die Staats-
anwaltschaft ist, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, zur
Erhebung der Klage verpflichtet (Legalitätsprinzip), mag die Tat auch noch
so geringfügig sein. Lehnt sie die Verfolgung ab, so kann unter Umständen die
Entscheidung des Oberlandesgerichts eingeholt werden, die für die Staats-
anwaltschaft bindend ist. Diese erhebt die Klage, indem sie entweder in