Sozialer
Materialisımus,
Io RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Es ist selbstverständlich, daß in diesem Zusammenhang das Wort ‚‚ma-
terialistisch‘' nicht in einem vulgären Sinne gebraucht und gleich niedrig oder
gemein gesetzt werden darf; vielmehr ist es als Theorie gemeint, und zwar als
Übertragung der Grundgedanken aller Systeme des philosophischen Materialis-
mus auf die Menschengeschichte, vor allem auf das in ihr sich abrollende soziale
Dasein der Menschen. Es sei, lehren jene, die Geschichte der Menschheit als
ein mechanischer Naturprozeß zu erfassen, der ausschließlich nach natur-
wissenschaftlicher Methode, als Gegenstand einer bloß naturgesetzlichen Auf-
fassung bestimmt werden solle. Wie nach der alten Doktrin des Materialismus
die Grundlage alles Seins die Materie und deren Bewegungen sei, wovon
auch das geistige Leben des Individuums abhänge, so sei auch im sozialen Da-
sein der Menschen die Materie der Gesellschaft und ihre Bewegung das Be-
stimmende. Was jedoch für den einzelnen die Materie der Natur sei, das be-
deute für das gesellschaftliche Leben — die soziale Wirtschaft.
„Die materialistische Anschauung der Geschichte‘‘ sagt Engels ‚‚geht von
dem Satze aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch
ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daß in jeder ge-
schichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit
ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände sich danach richtet, was und
wie produziert, und wie das Produzierte ausgetauscht wird.‘‘ — Als erläuterndes
Beispiel kann auf die Umwandlung eines Nomadenlebens in ein Ackerbau trei-
bendes Volk verwiesen werden, bei dem wieder die Organisation der Gesellschaft
eine andere sein wird, je nachdem es sich um Kleinbauern oder um Latifundien-
wirtschaft mit Pachtungen oder vielleicht um Feldgemeinschaft kommunisti-
schen Eigentums handelt.
Die Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens ist also, nach dieser Lehre, die
Abhängigkeit von der sozialen Materie. Den Veränderungen dieser werde stets
eine Veränderung des sonstigen gesellschaftlichen Daseins entsprechen. Denn
die soziale Wirtschaft bildet die Basis einer Gesellschaft; darüber erhebt sich
ein juristischer und politischer „Überbau‘“. Wenn die Unterlage schwankt,
kann auch der Überbau nicht fürder unverändert bestehen bleiben, und bei
völliger Umwälzung jener muß auch die darüber errichtete Ordnung stürzen
und einer neuen Platz machen. Solange die Indianer mit Bogen und Pfeil auf
die gemeinsame Büffeljagd auszogen, war Privateigentum des einzelnen Jägers
am erlegten Wild möglich, da an seinem besonders gezeichneten Pfeil man den
Wildtöter genau erkannte; aber als sie mit Pulver und Blei zu hantieren be-
gannen, fiel diese Möglichkeit weg, und die neue Art der gesellschaftlichen
Produktion ihres Lebens machte eine neue Art der verteilenden Organisation
nötig. Oder im großen: Die Produktionsweise der ausgebildeten Manufaktur
des 18. Jahrhunderts war unverträglich mit den lokalen und ständischen Privi-
legien wie mit den gegenseitigen persönlichen Banden der feudalen Ordnung;
als darum die Bourgeoisie, der jene Produktionsweise eigentümlich war, ge-
nügend Stärke erlangt hatte, zerschlug sie die feudale Ordnung und stellte
auf ihren Trümmern die bürgerliche Gesellschaftsverfassung her, das Reich