Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Kirchenverfassung. 281 
Innerhalb des Klerikerstandes erbaut sich hinausragend über die Hierarchie 
der Weihegewalt die Hierarchie der Jurisdiktion, der Regierungsgewalt. An 
ihrer Spitze steht kraft göttlichen Rechtes der durch Wahl der Kardinäle 
berufene Papst. Sein primatus jurisdictionis umfaßt nach außen die Ver- 
tretung der Kirche, nach innen die höchste gesetzgebende, gesetzvollziehende 
und richterliche Gewalt. Sein primatus honoris enthält die als geistlichem 
Monarchen ihm zukommenden Ehrenrechte. Kirchenstaat und staatliche 
Souveränität sind ihm durch die Einnahme Roms am 20. September 1870 ent- 
zogen. Dagegen sind durch das italienische Garantiengesetz vom 13. Mai 1871 
alle zur absoluten Unabhängigkeit in Ausübung der kirchlichen Regierungs- 
gewalt erforderlichen Freiheiten gewährleistet. Im internationalen Verkehr 
werden ihm sogar die Ehren der völkerrechtlichen Souveränität zuerkannt. 
Der durch Kardinalskollegium, Kurialbehörden und die Organe des diplo- 
matischen Verkehrs unendlich reich und vielgestaltig gegliederte Amtsorganis- 
mus des Papstes bildet in seiner Einheit die römische Kurie. Die neueste in 
sich fest geschlossene und doch äußerst bewegliche Ordnung der römischen 
Behörden beruht auf der Const. Apost. Sapients consılio vom 29. Juli 1908. Sie 
unterscheidet dreifach: Sacrae Congregationes (darunter C. Sanctı officit 
„cus summus pontifex praeest‘‘, Concslii, De propagande fide, Indicis, Studiorum 
u. a.), Tribunalia (Poenitentaria, Romana Rota, Signatura), Officia (Can- 
celarsa, Datarıa, Camera u. a.). In Unterordnung unter den Primat sind, 
gleichfalls nach göttlichem Recht, die Bischöfe zum Regiment über eine 
Diözese berufen. Zwischen Papst und Bischöfen stehen als hierarchische 
Mittelstufen kraft menschlichen Rechtes die Erzbischöfe oder Metropoliten 
als diejenigen Bischöfe, welche, soweit nicht Exemtionen bestehen (exemte 
Bistümer: Breslau, Ermland, Hildesheim, Onabrück, Straßburg, Metz), neben 
dem Besitz ihrer eigenen Diözese zur Regierung über mehrere in eine Kirchen- 
provinz vereinigte Diözesen (Erzbistümer: Freiburg für die oberrheinische 
Kirchenprovinz, Köln, Gnesen-Posen, München-Freising, Bamberg) berufen 
sind. Terrae missionis, in welchen eine ordentliche bischöfliche Jurisdiktion 
nicht eingerichtet ist, werden durch apostolische Vikare und Delegaten (wie 
etwa Brandenburg durch Breslau) versorgt. Ständige bischöfliche Behörden 
sind die Domkapitel, Gehilfen der Jurisdiktion u. a. die Generalvikare, der 
Weihegewalt die Weihbischöfe. Der bischöfliche Behördenorganismus ist im 
übrigen partikularrechtlich verschieden geordnet. In Unterordnung unter den 
Bischof endlich üben die Pfarrer mit ihren Hilfsorganen über die Kirchen- 
glieder einer Parochie die Weiherechte und die ihnen bischöflich übertragenen 
lokalen Jurisdiktionsbefugnisse aus. 
Regierungs- 
gewalt. 
Auch repräsentative Gliederungen des Kirchenorganismus können nach Konzitien. 
katholischem Verfassungsprinzip nur durch den Klerus herzustellen sein. Sie 
beruhen auf allen Stufen nicht Jure divino und zählen zu den außerordentlichen 
Mitteln der Kirchenleitung. Selbst die oberste Stufe, das ökumenische 
Konzil, auf welchem sich der Episkopat als Einheit darstellt, hat indessen 
durch die neuere Rechtsentwickelung das alte verfassungsrechtliche Gewicht
	        
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