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das besetzte Land als res nullius fingieren oder eine Quasisouveränität an-
nehmen wollen. In Anlehnung an eine Reihe von wichtigen Entscheidungen
des obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten bezeichnet er die
„Kriegsnotwendigkeit“ ! als Maßstab für die Rechte des Okkupanten. Darin
liegt einmal die Suspension der bisherigen Staatsgewalt während der Dauer
der Besetzung (und folgerichtig die Einziehung von Zöllen etc. durch den
Feind mit Wirkung gegenüber der suspendierten Staatsgewalt), andererseits
bleibt das besetzte Land Feindesland und damit auch Zollausland. Ebenso
ist die Rechtslage nach den vom Verfasser zitierten Entscheidungen des
obersten Bundesgerichts in der Zeit nach der (völkerrechtlichen) Abtretung
durch den besiegten und vor der (staatsrechtlichen) Einverleibung in den
erwerbenden Staat. Der dritte Abschnitt der interessanten Arbeit behandelt
die Stellung des bisherigen Feindes vor der Räumung des Landes (Kuba).
Eine Biographie des Deutsch-Amerikaners Franz Lieber, der die Kodi-
fikation des Landkriegsrechts im Haag durch seine während des Sezessions-
krieges für die Armeen der Union geschriebenen Instruktionen so wesent-
lich gefördert hat, gibt Ernest Nys (S. 84—117, 355—39). Verknüpft mit
ihr ist eine knappe Darstellung der Geschichte des Sezessionskrieges (S. 360 ff.),
insbesondere eine Besprechung der bekannten englischen Neutralitätser-
klärung, die die Anerkennung der Südstaaten als Kriegsführende enthielt,
und des Alabamastreits.
Gleichfalls aus der Feder Nys stammt „the codification of international
law“ (871—900), ein fein abgestimmter Aufsatz, der vielleicht deutlicher
als Geschichte der Versuche einer Kodifikation des Völkerrechts be-
zeichnet worden wäre. Er lehrt — und darin liegt der ganz besondere
Wert des Nysschen Aufsatzes — die Bedeutung der Privatarbeiten für
die Weiterbildung und Kodifizierung des Völkerrechts. Mögen diese von
einzelnen ausgehen — es sei wieder erinnert an die Instruktionen LIEBERS
oder auch an die in der Il. Haager Akte sanktionierten Sätze HOLLECKS
über die military espionage, die auf S. 590—603, der zu besprechenden
Zeitschrift nach hinterlassenen Papieren des amerikanischen Generals
wiedergegeben werden — oder mögen sie als Beschlüsse gelehrter Gesell-
schaften, wie insbesondere des Instituts für Völkerrecht, der International
Law Association, der interparlamentarischen Union und anderer mehr in die
Erscheinung treten — ihre Einwirkung auf die Regierungen, die allein
einen Satz zum Völkerrechtssatz erheben können, ist unverkennbar. In
beiden Erscheinungsformen der Privatkodifikationen liegt in der Tat wie
ELisu RooT in seiner Rede über „the function of private codification und
ı Dieser Begriff ist nur mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen. Vgl.
dazu vor allem OPPENHEIM, die Zukunft des Völkerrechts, 1911, S. 58, 59;
CYBICHOWSKY, Studien zum internationalen Recht, 1912, S. 21 ff., bes. 38, 56 ff..,.
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