Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

304 WILHELM KAHhL: Kirchenrecht. 
Parität. I. Begriffsbestimmung. Die sichere Handhabung des Paritätsbegriffs 
setzt eine dreifache Unterscheidung voraus: Parität im kirchenpolitischen, 
im staatsrechtlichen und im engeren kirchenrechtlichen Sinn. Parität im 
Kirchn- kirchenpolitischen Sinn ist das Prinzip der religionsgesellschaftlichen 
ei Gleichheit der rechtlichen Selbständigkeit wie Unterordnung im Verhältnis 
zum Staat. Sie bedeutet nicht die Einerleiheit des Rechtes, sondern die Gleich- 
heit der Lebensbedingungen im Verhältnis des Staates zu der Mannigfaltigkeit 
der Religionsgesellschaften. Die Darstellung des Verhältnisses von Staat und 
Kirche wird nachfolgend auf die Anwendung dieses Prinzips zurückführen 
er (s. unten V). Parität im staatsrechtlichen Sinn bedeutet die Forderung 
der Gleichheit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte der 
einzelnen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis. 
Von ihr war schon vorstehend (s. oben III) im Zusammenhange der rechtlichen 
Stellung der Kirchenglieder die Rede. Hier ist nur eine Bemerkung nach- 
zuholen, welche sich auf die irrtümliche Anwendungsweise dieses an sich schon 
im Reichsgesetz vom 3. VII. 1869 richtig niedergelegten paritätischen Prinzips 
bezieht. Es ist seine Verzerrung zur mechanischen Parität. Es kann nicht 
als Konsequenz der staatsrechtlichen Parität eine zahlenmäßige, konfessionell 
prozentuale Beteiligung der Staatsangehörigen an den Ämtern der Staats- 
verwaltung oder an den richterlichen Stellen gefordert werden. Diese äußerliche 
Handhabung der Parität ist unter allen Umständen abzulehnen. Sie läuft ihrem 
Geist und Wesen schnurstracks zuwider und hebt sie im letzten Erfolge wieder 
auf. Sie erinnert an die primitivsten Anfänge der Entwickelung des paritätischen 
Prinzips in der Verfassung und Verwaltung des älteren Reiches, wonach dem 
Höchstkommandierenden der Reichsarmee ein ‚aus beiden Religionsparteien 
zusammengesetzter Kriegsrat‘‘ zur Seite stehen mußte. In der gegenwärtigen 
Staatsordnung entscheidet über die Bekleidung von Staatsämtern grundsätzlich 
ehe Bee die Tüchtigkeit und nicht die Konfession. Parität im engeren kirchenrecht- 
"lichen Sinne endlich bedeutet das Prinzip der Unabhängigkeit und grund- 
sätzlichen Rechtsgleichheit der Konfessionen und ihrer Angehörigen in ihrem 
Wechselverhältnis untereinander. Der paritätische Staat in diesem 
Sinne schließt den Konfessionsstaat mit einer ecclesia dominans aus. Die 
staatliche Aufgabe hinsichtlich dieser Parität ist die Handhabung der Ge- 
rechtigkeit und die Wahrung des Rechtsfriedens unter den mehreren 
Religionsgesellschaften. Hierfür kann die Differenz hinsichtlich der staats- 
rechtlichen Stellung der letzteren, ob bloße Vereine ohne Rechtsfähigkeit, ob 
juristische Personen des Privatrechts, ob öffentliche und privilegierte Kor- 
porationen, grundsätzlich einen Unterschied nicht machen. Alle haben den 
Anspruch, im Umfang der durch die Gesetzgebung ihnen zugeteilten Freiheit 
und Selbständigkeit gegen widerrechtliche Beeinträchtigung seitens der anderen 
geschützt zu sein. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, daß das Maß dieser Zu- 
teilung selbst ein verschiedenes sei, daß namentlich die Beziehungen der 
großen historischen Kirchen und ihrer Angehörigen untereinander positiv 
rechtlich durch besondere Schutzmaßregeln sichergestellt seien. Denn nach
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.