IV. Die Kirchengesellschaften in ihrem gegenseitigen Rechtsverhältnis. 305
Geschichte und Natur der Sache sind die Berührungen unter ihnen am zahl-
reichsten und die Gelegenheiten von Gegensätzen und Kollisionen am häufigsten.
Es fragt sich im weiteren, welche Maßnahmen das positive Recht zur Ver-
wirklichung des paritätischen Prinzips in diesem Sinn, d. h. für das Wechsel-
verhältnis der Konfessionen, getroffen habe.
2. Die konkrete Ausgestaltung der religionsgesellschaftlichen Pesitivrechtliche
Parität. Die hierfür eintretenden staatlichen Ordnungen und Veranstaltungen ae
liegen auf vierfachem Gebiet. lichen Parität.
Die paritätische Ordnung garantiert die Integrität der konfessionellen Schutz der Ehre.
Ehre. Hiernach besteht die landes- und reichsgesetzlich begründete und durch
Strafbestimmung (RStGB. $ 166) geschützte Verpflichtung zur Unterlassung
von Beschimpfungen. Es wird eine wichtige Aufgabe der bevorstehenden
Revision des deutschen Strafgesetzbuchs sein, die in dieser Beziehung unbeab-
sichtigt gegenwärtig noch bestehenden Reste von Imparität, insbesondere die
ungleiche Rückwirkung des Strafgesetzes auf den Schutz der katholischen und
der protestantischen Kirche zu beseitigen. Der Vorentwurf zu einem neuen
Deutschen Strafgesetzbuch vom Oktober 1909 hat diesem Bedürfnis bereits
dadurch Rechnung getragen, daß er die Kasuistik von Schutzobjekten, die ein-
seitig die katholische Kirche begünstigen mußte, beseitigt und die christlichen
Kirchen in der Gesamtheit ihrer Beziehungen unter Strafschutz gestellt hat
($ 156).
Die paritätische Ordnung garantiert ferner die Integrität des konfes- Schutz des
sionellen Kultus. Die Sicherstellung in dieser Hinsicht wird zunächst
wiederum dadurch geboten, daß beschimpfende Unfugsverübung an Kultus-
orten und die vorsätzliche Verhinderung oder Störung gottesdienstlicher
Versammlungen, sowie die Verletzung des Gräberfriedens mit ernster
Strafe (RStGB. $$ 166-168) bedroht sind. Die Kultusübung ist aber auch
individuell subjektiv geschützt. Es darf niemand an der persönlichen Aus-
übung seines Kultus widerrechtlich gehindert (RStGB. $ 167) oder zur
Ausübung eines fremden Kultus genötigt (ib. $240) werden. Eine besondere
Anwendung des letzteren Verbots war namentlich auch die Aufhebung des
sog. Parochialzwanges, kraft deren gegenwärtig sowohl den Mitgliedern
einer Religionsgesellschaft freisteht, ob sie im Notfall eine Parochialhandlung
(Taufe, Beerdigung) von dem Geistlichen einer anderen Konfession erbitten,
als auch den Geistlichen selbst anheimgegeben sein muß, ob sie die erbetene
Funktion ausnahmsweise leisten wollen.
Die paritätische Ordnung garantiert weiterhin die Integrität desreligions- Schutz des
gesellschaftlichen Tatbestandes. Kraft dieser Garantie darf keine ae
Religionsgesellschaft durch die unerlaubten Mittel von Zwang und Über- Tatbestandes.
listung die Anhänger einer anderen Religion oder Konfession auf die eigene
Seite ziehen (Verbot der Proselytenmacherei). Ihre wirksamste Sicher-
stellung findet die Parität in dieser Hinsicht darin, daß, wie schon früher
(s. oben III) dargelegt, die Voraussetzungen, Formen und Wirkungen eines
bürgerlich rechtsgültigen Konfessionswechsels staatsgesetzlich fest-
Kultur der Gegenwart. Il. 8. 2. Aufl. 20