IA RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Grund den Zwang, das sei in seinem Inhalt berechtigt. — Dem gegenüber
gehört es zu den Grundgedanken der hier darzulegenden Lehre, daß das Streben
nach jener gemeinsamen Formel für die drei Aufgaben der Rechtsphilosophie
unbegründet ist. Es ist die Antwort auf die drei genannten Fragen zunächst
getrennt für eine jede zu geben.
Dabei ist wohl zu beachten daß die getrennte Behandlung unserer drei
Fragen nicht ein sachliches Auseinanderreißen sein darf. Sie müssen in innerer
Einheit wieder sich verbunden zeigen. Das geschieht dahin, daß die Lösung
einer jeden die Vorbedingung für die Erledigung der folgenden ist, in dieser
Reihenfolge aber das Problem eines grundsätzlich richtigen Rechtsinhaltes
an letzter Stelle steht. Wir müssen zuerst den Begriff des Rechtes nach seinen
bleibenden, einheitlichen Merkmalen für sich feststellen, um darauf die Er-
wägung der Berechtigung des Rechtszwanges aufzubauen. Die letztere
wiederum erscheint als notwendige Bedingung für die Aufgabe, inhaltlich
richtiges Recht zu erhalten, denn wenn der Gebrauch des Rechtes als solches
nicht allgemein und für sich als berechtigt begründet werden kann, so
hat es ja auch keinen Sinn, über diese oder jene besondere Anwendung
des Rechtsbegriffes und Rechtszwanges sich weiter zu bemühen. Und doch
ist es das Ziel der richtigen Ausgestaltung des überlieferten Rechts-
inhaltes, worauf sich alle Aufgaben dieses Zusammenhanges zuspitzen, und
deren bewußte Verfolgung alles rechtliche Wollen krönt.
Nun stellen sich, wie in unserer Einleitung hervorgehoben wurde, die Er-
örterungen über das Wesen ‚‚des'‘ Rechtes notwendig der Betrachtung von
Bestimmungen ‚eines besonderen‘‘ Rechtes gegenüber. Sie wollen gerade von
den Besonderheiten des Inhaltes einer einzelnen gegebenen Rechtsordnung
unabhängig sein und eine allgemeine Einsicht geben, die für alles Recht
unbedingt gilt. Wie beschaffen kann nun eine solche Einsicht sein? Wir
Form und Stoß antworten: Sie ist nur möglich in dem Sinne einer formalen Methode. Es
der Recht--
betrachtung.
ist die allgemeine Art und Weise, den mannigfaltigen, geschichtlich
bedingten und stetig wechselnden Stoff der sozialen Regelungen zu ordnen,
die wir nun klarstellen wollen. Ohne ein derartiges einheitliches Verfahren
würde aller historische Rechtsstofl ein wildes Gewirr darstellen, von dem wir
noch nicht einmal mit Grund sagen könnten, daß es ein ‚rechtlicher‘‘ Stoff sei,
wenn nicht eine grundlegende Methode da wäre, menschliches Wollen in gleich-
mäßiger formaler Weise zusammenzufassen und zu begreifen, — über den
aber auch niemand begründet ein billigendes oder verwerfendes Urteil fällen
dürfte, es sei denn nach einer allgemeingültigen formalen Art des Abwägens
und Richtens. Wenn also unser Thema lautet: Wesen des Rechtes und
der Rechtswissenschaft, — so erinnere man sich, daß das „Wesen‘‘ eines
Dinges ‚die Einheit seiner bleibenden Bedingungen‘ bedeutet, und daß
‚Wissenschaft‘ das Bewußtsein ist, das auf Einheit geht und in der Um-
formung zu ihr sich selbst vollendet.
Und umgekehrt: Sobald auch nur die leiseste Spur von dem bedingten
Stoffe eines besonderen rechtlichen Wollens in einer gewissen Darstellung