Belgien.
Frankreich.
322 WILHELM KAHL: Kirchenrecht.
selbst durch Bestrafung der Gotteslästerung als eines gegen Gott selbst ge-
richteten Verbrechens, teils durch staatliche Anordnung kirchlicher Gottes-
dienstfeiern oder religiöse Eröffnung des Kongresses durch einen besonders
angestellten Geistlichen geregelt. Die Religionsgesellschaften als solche unter-
liegen besonderen, zum Teil sehr weitgehenden Beschränkungen hinsichtlich
des Vermögenserwerbes, insbesondere des Grundbesitzes. Es sind also auch
in Nordamerika die Kirchen einerseits mehrfach privilegiert, anderseits über
das Maß des allgemeinen Rechtes hinaus beschränkt. Widerspruchsvoll ist die
Trennung in Belgien. Sie hat dort zu einem Zustande geführt, den man
treffend als die „freie Kirche im unfreien Staat‘' bezeichnet hat. Der Staat
speist ein Kultusbudget, dotiert Ämter und Klerus (Art. 117 der Verf. v. 1831),
hat aber auf jede Betätigung der Staatsaufsicht Verzicht geleistet. Solange
noch ein staatliches Kultusbudget besteht, sind Staat und Kirche tatsächlich
nicht getrennt. Die Tatsache, daß nirgends das System vollkommen durch-
geführt ist, wird auch, nur mit umgekehrter Folgeerscheinung, durch die Vor-
gänge in Frankreich lediglich bestätigt. Bei der Darstellung in der 1. Aufl.
ließen sich Bedeutung und Durchführung des eben erst ergangenen Trennungs-
gesetzes vom 9. Dezember 1905, in Geltung seit I. Januar 1906, noch nicht
genügend übersehen. Heute ist die Wirkung wenigstens einigermaßen ein-
zuschätzen. Der französische Staat hat in diesem Gesetz und seinen Ergänzungen
zwar sich von der Kirche, nicht aber die Kirche von sich getrennt. Die einseitige
Abkehr des Staats trat namentlich in der völligen Zurückziehung aller Staats-
güter und Leistungen, sowie charakteristisch verschieden von Nordamerika,
in der völligen Ausstoßung der Religion aus dem Rechtsleben des Staates
hervor: eingeleitet seit langem durch die Entfernung alles Religiösen aus der
Schule, aus den Beziehungen des Staates zum Sonntag, aus den Parlamenten
und Gerichtssälen steigert sie sich im Trennungsgesetz zum Verbot aller reli-
giösen Abzeichen oder Sinnbilder an öffentlichen Bauwerken oder Orten, wo
immer es auch sei, ausgenommen Kultusorte. Auf der anderen Seite hat der
französische Staat die Kirche durch ein Maß von Staatsaufsicht an sich ge-
kettet, wie es jedenfalls den Prinzipien des Trennungssystems nicht entspricht.
Die bisherige Einheit der Kirche mußte sich in staatliche ‚Kultusvereine‘*
“ auflösen. Sie aber unterliegen, trotz der durch den passiven Widerstand der
katholischen Kirche schon seit 1907 nötig gewordenen Konzessionen und No-
vellen, weitgehenden rechtlichen Beschränkungen: so sind alle neuen Einnahme-
quellen der Kultusvereine gesetzlich auf freiwillige Beiträge, Kollekten und
Gebühren beschränkt, es kann nichts durch Schenkung oder Testament er-
worben werden, erlaubt ist nur die Bildung bescheidener Reservefonds, ver-
boten die Ansammlung von Vermögen, die ganze Finanzverwaltung ist der
Kontrolle staatlicher Rechnungskammern unterstellt. Endlich ist das Vereins-
gesetz vom I. Juli 1901 mit seinem beschränkenden Sonderrecht für geistliche
Gesellschaften bestehen geblieben. So ist die Trennung in Frankreich in Wahr-
heit nur eine einseitige. Ob sie sich halten werde, ist mindestens zweifelhaft.
Frankreich ist ein Staat der kirchenpolitischen Überraschungen und System-