B. Die kritische Rechtstheorie. 15
und Lehre enthalten ist, so ist die letztere nicht absolut gültig. Sie bietet
notgedrungen einen dem Wechsel unterworfenen Inhalt und kann in dieser Eigen-
schaft als wesentlicher Bestandteil einer reinen Rechtslehre keineswegs
auftreten. Nur von den logisch notwendigen Bedingungen möglicher Verein-
heitlichung vermag es eine Lehre exakten Charakters zu geben, die mit Grund
den Anspruch unbedingter Geltung erheben darf: In aller Betrachtung ma-
terialer Besonderheiten wird dagegen genau so viel Wissenschaft ge-
geben sein, als sie jenen Formen in bewußter Einsicht mit Erfolg zu ent-
sprechen imstande ist.
Diese Problemstellung, die als oberstes hier zu verfolgendes Ziel die Er-
forschung und Klärung der grundlegenden Methode rechtswissenschaft-
licher Einsicht entrollt, unterscheidet sich danach grundsätzlich von anderen
Bestrebungen, an deren letztem Ende immer noch Ergebnisse stofflich
bedingten Inhaltes stehen. Man hat wohl beobachtet, wie ein gegebenes
geschichtliches Recht sich in die besondere Kultur eines abgrenzenden Zeit-
alters einfügt, und wie dabei bestimmte Forderungen auf anderes Recht sich
loslösen und der bestehenden Ordnung gegenübertreten. Aber diese Unter-
scheidung von geltendem Rechte und von Rechtspostulaten ist
etwas ganz anderes, als die Gegenüberstellung von besonderem rechtlichen
Stoffe und von allgemeiner formaler Methode, einen beliebigen be-
dingten Rechtsinhalt zu richten und zu bestimmen. Diese letztere Trennung
ist von dem Gegensatz der lex lata und ferenda unabhängig; sie findet sich in
jedem von diesen wieder. Sie ist die grundlegende Voraussetzung für
jede mögliche Rechtswissenschaft, während die andere genannte Zerteilung nur
eine äußerliche Unterscheidung nach der Zeit der empirisch gegebenen
oder fehlenden Geltung wiedergibt. Sachlich aber können auch sog. Rechts-
postulate, als Forderungen auf Abänderung eines bestimmten Rechtes, richtig
oder unrichtig sein, so daß sich überall die Frage erhebt: in welchem metho-
dischen Beweisgang man das eine oder andere begründen kann. Der
Gedanke der Richtigkeit ist eine formale Eigenschaft, welche jedem be-
sonderen Rechtsinhalt zukommen kann, dem gewesenen, dem heute bestehen-
den oder einem angestrebten.
Diese Unterscheidung von ,„Form‘ und von „Stoff‘‘ kann gar
nicht scharf genug betont werden. Erst nach ihrer klaren Erfassung
und vollen Durchführung mag das Mißverständnis schwinden, als ob es darauf
abgesehen sein sollte, dem geschichtlich gewordenen Recht ein ideal erschaffenes
Recht gegenüberzustellen. Davon ist keine Rede. Dem Stoffe nach ist alles
Wollen geschichtlich bedingt. Es erwächst aus besonderer historischer Lage
und hat für seine genetische Betrachtung notwendige Ursachen. Aber jedes
inhaltlich besondere Wollen hängt mit anderen, konkret von ihm verschiede-
nen, in einer inneren Gleichartigkeit zusammen. Sie, die einzelnen, treffen sich
in einer gemeinsamen formalen Art. Nach einer solchen fügen sich stofllich
mannigfaltige Normen einheitlich dem Begriffe des Rechtes unter, nach for-
maler Weise lassen sie sich dann wieder in sachlich richtiges und unrichtiges