Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Staatsnatur 
der Gliedstaaten. 
332 PAuL LABAND: Staatsrecht. 
Die anfänglich vorhanden gewesenen Verschiedenheiten sind im Laufe des Jahr- 
hunderts unter der fortschreitenden Gemeinsamkeit der Interessen und politischen 
Bedürfnisse mehr und mehr ausgeglichen worden, besonders seit der Zusammen- 
fassung der Einzelstaaten im Norddeutschen Bunde und Deutschen Reiche 
unter der Einwirkung der Reichsgesetzgebung. Man kann daher auf der Grund- 
lage dieser Übereinstimmung ein gemeines deutsches Landesstaatsrecht, frei- 
lich nur als ein Produkt der Theorie, abstrahieren. 
A. Reich und Einzelstaat. 
I. Das Grundprinzip. Bevor das Verhältnis, in welchem das Reich 
und die Einzelstaaten zueinander stehen, dargestellt werden kann, muß zunächst 
hervorgehoben werden, daß sowohl das Reich als auch seineGlieder den Charakter 
von Staaten haben. Wenn man freilich annimmt, daß die Souveränität, d.h. 
die volle, freie, uneingeschränkte, höchste Gewalt zum Wesen des Staates gehört, 
so kann es nicht auf demselben Gebiet zwei einander übergeordnete Staats- 
gewalten geben und man hat von diesem Standpunkt aus entweder dem Reich 
die Eigenschaft des Staates abgesprochen und es für einen Staatenbund erklärt 
(v. Seydel) oder man hat umgekehrt die Einzelstaaten trotz dieser Bezeichnung 
nur als Verwaltungsbezirke des Reiches gelten lassen (Zorn und andere). Allein 
beide Theorien widersprechen den Tatsachen und dem wirklichen Rechtszu- 
stande. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Staat und dem Kommunal- 
verband besteht nicht in der Souveränität oder ihrem Mangel, sondern darin, 
daß der Staat kraft eigenen, nicht abgeleiteten Rechtes die Macht hat, nicht 
nur zu befehlen, sondern auch den Gehorsam gegen seine Befehle zu erzwingen 
und hierzu Vermögen, Freiheit, Körperintegrität und Leben seiner Untertanen 
anzugreifen; während die Gemeindeverbände aller Stufen diese Macht nicht 
haben, soweit sie ihnen nicht in beschränktem Maße vom Staat zur Ausübung 
übertragen wird. Die Gemeinde hat keine anderen Rechte als die ihr vom Staat 
verliehenen. Der Einwand, daß viele Gemeinden älter sind als die Staaten, 
denen sie angehören, ist unbegründet; er beruht auf einer historischen, statt 
einer juristischen Auffassung. Die Gemeinde besteht nur durch den Willen des 
Staates; er gibt ihr durch die Gemeindeordnung ihre Verfassung, ihre Organe, 
ihre Aufgaben, Pflichten und Rechte; er kann Gemeinden zu einer vereinigen 
oder in mehrere zerteilen; er kann sie errichten oder unterdrücken; er kann 
durch eine Änderung der Gemeindeordnung alle ihre Einrichtungen umgestalten, 
ohne daß die Gemeinde dabei ein Widerspruchsrecht hat. Alles dieses verhält 
sich beim Staat entgegengesetzt. Der Rechtsgrund des Staates ist sein eigener 
Wille, er selbst gibt sich seine Verfassung, ordnet seine Verwaltung und Organi- 
sation, setzt sich seine Aufgaben und hat zu ihrer Durchführung seine eigenen 
Machtmittel. Bei dieser Auffassung ergibt sich hinsichtlich der deutschen Staaten, 
welche bis zu ihrem Eintritt in den Norddeutschen Bund bzw. das Reich unbe- 
zweifelt die volle souveräne Staatsgewalt hatten, daß sie auch gegenwärtig 
noch wirkliche Staaten sind; denn wenngleich ihre Zuständigkeit und ihr freies 
Selbstbestimmungsrecht durch die Unterordnung unter das Reich beschränkt
	        
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