364 PAuL LABAND: Staatsrecht.
folgeordnung ist die Primogeniturordnung, d.h. die agnatische Linealfolge
mit dem Vorzug des Erstgeborenen und seiner Deszendenz. Beim Aussterben
der Dynastie und in Ermangelung aller erbberechtigten Anwärter ist durch ein
Spezialgesetz die Thronfolge zu ordnen.
Regentschaft. Wenn der Monarch wegen Minderjährigkeit oder wegen eines geistigen
oder körperlichen Gebrechens dauernd regierungsunfähig ist, so wird er nach
dem jetzigen Recht nicht von der Thronfolge ausgeschlossen, sondern in der
Führung der Regierungsgeschäfte durch einen Regenten vertreten. Über das
bei Einsetzung einer Regentschaft zu beobachtende Verfahren enthalten die
deutschen Verfassungen Vorschriften, die im einzelnen vielfach voneinander
abweichen. Der Regent übt die Staatsgewalt in demselben Umfange und mit
derselben Unabhängigkeit und Freiheit von aller Verantwortlichkeit aus wie
der Monarch; jedoch nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Monarchen.
Er ist nicht der Mandatar des letzteren, sondern hat ein eigenes, in der Ver-
fassung des Staates und dem Hausgesetz der Dynastie begründetes Recht auf
die Regentschaft. Die Berufung zur Regentschaft erfolgt nach der Primogenitur-
ordnung mit Übergehung der regierungsunfähigen Prinzen; in Ermangelung eines
regierungsfähigen Agnaten berufen viele deutsche Verfassungen die Mutter des
minderjährigen Thronerben zur Regentschaft; es ist dies ein Rest der dem patri-
monialen Staat entsprechenden Auffassung der Regentschaft als Regierungs-
vormundschaft. Nach der preußischen Verfassung Art. 57 haben die beiden
Kammern in vereinigter Sitzung einen Regenten zu wählen, wenn kein regierungs-
fähiger Agnat vorhanden ist.
Dan esherr“ Die ebenbürtigen Mitglieder des landesherrlichen Hauses haben einen er-
höhten Rechtsschutz gegen Verletzungen und Beleidigungen, gewisse Ehren-
rechte und Anspruch auf Apanage resp. Witwenversorgung. Die großjährigen
Prinzen sind in der Regel Mitglieder der Ersten Kammer.
es Landtaen Ill. Der Landtag. Der Landtag ist ein unmittelbares Organ des
Staates; das will sagen: er leitet seine Zuständigkeit unmittelbar aus der Ver-
fassung ab; ohne Übertragung von seiten eines anderen Organs, auch nicht
vom Volke; denn das Volk ist kein Organ des Staates. Der Ausdruck ‚‚Volks-
vertretung‘‘ hat nur eine politische Bedeutung, indem er auf die Beteiligung
des Volkes an der Bildung des Landtages hinweist; ein juristischer Sinn liegt
in der Bezeichnung nicht. Denn das Volk ist kein vom Staat verschiedenes
Rechtssubjekt, welches vertreten werden könnte, und der Landtag ist kein
Rechtssubjekt, welches Vertreter sein kann. Die Funktionen, welche der Land-
tag ausübt, sind staatliche; das Volk hat keine Rechte, welche sich gegen den
Staat kehren; Volk und Staat sind eins, denn der Staat ist die rechtliche Ord-
nung und Personifikation des Volkes. Auch der einzelne Abgeordnete ist
nicht Vertreter oder Mandatar des Volkes oder eines Wahlkreises oder
seiner Wähler; er hat vielmehr sein Amt auf Grund der Verfassung und die
Wahl ist nur eine Art — und nicht die einzige — wie ihm dieses Amt über-
tragen wird. In dem in den Verfassungen regelmäßig wiederkehrenden Satz,