Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Begritflicher 
Unterschied 
von Recht und 
Sitte. 
20 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft, 
Wollen des einzelnen getrennt von dem des anderen. Es ıst das wesentliche 
Merkmal des Innenlebens, das somit dem Zusammenwirken gegenüber- 
tritt. Wir erhalten hierdurch eine klare Unterscheidung der Begriffe ‚sitt- 
lich‘‘ und ‚sozial‘. Es sind beides Arten des menschlichen Wollens, die nach 
logischen Merkmalen abgeteilt werden; von grundsätzlicher Berechtigung 
ihres Inhaltes ist zunächst noch keine Rede, ein jedes von ihnen kann richtig 
oder unrichtig sein. 
Das Recht aber zählt ausschließlich zu der formalen Art des Zusammen- 
wirkens. In seiner Vorstellung liegt notwendig das Ordnen zum Zusammen- 
stehn, es verbindet zum gemeinsamen Kämpfen und Arbeiten. Es wird somit 
als ein Wollen gedacht, das über den, durch es verbundenen, Menschen steht: 
Das Recht ist eine Art des verbindenden Wollens. 
IIl. Die Selbstherrlichkeit. Innerhalb der einen Art des Wollens 
der sozialen, lassen sich wiederum verschiedene Möglichkeiten nach allge- 
meinen logischen Merkmalen unterscheiden. Es tritt dieses geschichtlich zu- 
tage in der Trennung des Rechtes von der Sitte. 
Diese Gegenüberstellung wird als solche überall in selbstverständlicher 
Art empfunden. Doch erst in der neueren Zeit sind energische Versuche zu 
verzeichnen, den Unterschied in seiner begrifflichen Schärfe klarzulegen. 
Dabei wird es nicht genügen, über das genetische Verhältnis beider Regel- 
arten gewisse allgemeinere Erfahrungen aufzustellen. Man hat gemeint, daß 
die soziale Regelung zeitlich mit der Sitte beginne und dann festgelegte 
Bräuche und Gewohnheiten allmählich in rechtliche Sätze übergingen; und 
es findet sich der Vergleich, daß die Sitte die „Knorpeln‘ in der Organisation 
der menschlichen Gesellschaft darstellte, die nach und nach in die „Knochen“ 
des Rechtes übergingen. Aber solche Verallgemeinerungen einzelner sozialer 
Ereignisse sind nur von komparativer Gültigkeit. Es läßt sich niemals voraus- 
sehen, ob nicht eine entgegenstehende Beobachtung für Vergangenheit oder 
Zukunft gemacht werden würde. Und es setzt jene genetische Art der Schil- 
derung die systematische Trennung der beiden Begriffe immer schon voraus 
Wenn man den formalen Begriff von Sitte und von Recht nicht besäße, so 
würde ja auch niemals mit Grund gesagt werden können, daß ‚‚etwas‘‘ früher 
mit dem einen und später mit dem: anderen Begriff zu bestimmen sei. Und 
falls sich in der Literatur Sätze finden, wie ‚Sitte wird allmählich zum Recht 
und Recht zur Sitte‘, ‚das Recht verändert die Sitten‘‘ u.a. m., so wird ein 
begrifflicher Unterschied vorausgenommen und logisch durchgeführt; so 
daß es doch auch möglich sein muß, die wesentlichen Merkmale einer solchen 
Scheidung allgemeingültig festzustellen. 
Nun geht es aber auch nicht an, den gedachten begrifflichen Uhnter- 
schied von Recht und Sitte überhaupt durch Zerteilung des Inhaltes von ge- 
wissen sozialen Regelungen wiederzugeben. Denn dieser besondere Inhalt unter- 
liegt einem unaufhörlichen und unvermeidlichen Wechsel: Nur der Gegensatz 
der formalen Merkmale in der Einteilung von Recht und Sitte bleibt stetig
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.