I. Justiz und Verwaltung. A. Begriff und Grenzen der Justiz und der Verwaltung. 381
II. Die Verwaltung. Die dritte Gewalt des Staates, das Stück Staats- Besift
gewalt also, welches bleibt, wenn man von dem Ganzen die gesetzgebende Ge- der Verwaltung.
walt und die Justiz hinwegdenkt, wird seit Locke und Montesquieu meist die
Exekutive oder vollziehende Gewalt genannt. Wir geben ihr den Namen Ver-
waltung. Die Bezeichnung vollziehende Gewalt, pouvoir executif, ist unrichtig
und richtig. Unrichtig, wenn sie so gemeint ist, als bestehe das Wesen der dritten
Staatsfunktion ausschließlich im Vollziehen der Befehle des Gesetzgebers. Es
wäre ganz einseitig und widerspräche dem Recht ebenso, wie die Tatsachen,
wenn man behaupten wollte, alle Verwaltungstätigkeit sei bloßer Gesetzes-
vollzug. Die Verwaltung begreift viel mehr und anderes in sich als die Ver-
wirklichung gesetzgeberischer Willensimpulse und Anordnungen. Wenn der
Staat Verträge schließt mit Privatpersonen oder anderen Staaten, wenn er
eine Eisenbahnkonzession erteilt, wenn er Beamte ein- und absetzt, Heeres-
pflichtige aushebt, Festungen und Kriegsschiffe baut, Gemeinden miteinander
vereinigt, Kolonien erwirbt, so sind das alles Verwaltungshandlungen, aber
solche, vermöge deren die Staatsverwaltung ihren eigenen Willen, nicht den
der Legislative, vollzieht. Wenn die Verwaltung eine neue Behörde, eine öffent-
liche Anstalt oder Einrichtung (z. B. eine Universität, einen Schiffahrtskanal) ins
Leben ruft, so kann das Gesetzesvollzug sein; dann nämlich, wenn ein Gesetz
diese Behörde, Anstalt, Einrichtung angeordnet und die Verwaltung entsprechend
beauftragt hat; — es muß aber nicht Gesetzesvollzug sein, und es ist dies dann
nicht der Fall, wenn die Verwaltung aus eigener Initiative gehandelt hat. Die
Sache liegt also nicht so, daß der Gesetzgeber immer erst im Einzelfalle ‚‚wollen‘“
muß, damit die Verwaltung ‚vollziehen‘ darf. Die Bezeichnung ‚‚vollziehende
Gewalt‘‘ ist nur dann richtig, wenn man den Gedanken ausschaltet, als müsse
der Gegenstand des Vollziehens stets in einem gesetzgeberischen Befehl, die
Ursache des Vollziehens in einem vom Gesetzgeber ausgehenden Willensimpuls
liegen; — sie ist richtig, wenn man dem ‚‚vollziehen‘‘ den einfachen Sinn unter-
legt: handeln.
Die Verwaltung ist die handelnde Staatsgewalt. Gesetz ist Verwaltung und
Wille, Verwaltung Tat. Das heißt, wie gesagt, nicht, daß die Legislative jedes- Gesetz,
mal erst wollen muß, damit es zur administrativen Tat komme, sondern es
bedeutet, daß das Tun der Verwaltung durch das Gesetz beschränkt ist.
Das Gesetz ist regelmäßig weder Ursache noch Zweck, immer aber Schranke
der Verwaltungshandlungen. Schranke; das will sagen: das Gesetz ist der Ver-
waltung gegenüber der rechtlich höhere Wille, die Verwaltung darf niemals
contra legem handeln, nie etwas tun, was das Gesetz verbietet. ‚Schranke‘
bedeutet aber noch ein anderes und mehr: die Verwaltung hat den Untertanen
gegenüber nur diejenigen Machtbefugnisse zum Eingriff in Freiheit und Eigen-
tum der einzelnen, welche das Gesetz ihr verleiht. Die Verwaltung kann sich
also, soweit sie zur Erreichung ihrer Zwecke die Freiheit Dritter beschränken,
deren Arbeit, deren Vermögen, deren Dulden in Anspruch nehmen will, nur
intra legem bewegen. Oder anders ausgedrückt: die Verwaltung darf die ihr
Unterworfenen, die Untertanen, nicht ultra legem mit Pflichten belasten.