i. Justiz u.Verwaltg. B. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtspflege). 391
der Verwaltungsgerichte gehörigen Fällen ‚‚weniger die Rechtsfrage als die Tat-
frage streitig.‘‘ Der Schwerpunkt der verwaltungsrichterlichen Tätigkeit liegt
nicht so häufig in der Anstellung rein logisch-juristischer, rechtswissenschaft-
liche Fachbildung voraussetzender Gedankenoperationen als in der sorgfältigen
Prüfung und objektiven Würdigung des Sachverhaltes. Um Beispiele heraus-
zugreifen: die Bedürfnisfrage bei Schankkonzessionen, die Frage der ‚sittlichen,
artistischen und finanziellen Zuverlässigkeit‘‘ (Reichsgewerbeordnung $ 32)
eines die Erlaubnis zum Betriebe seines Gewerbes nachsuchenden Schauspiel-
unternehmers, die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit eines von der zuständigen
Behörde geforderten Wege- oder Schulhausbaues, die so häufig unter Streit
stehende Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, welche
die Polizeibehörde zum Erlaß einer bau-, feuer-, gesundheits- oder sonstigen
polizeilichen Verfügung berechtigen, — diese und viele ähnliche, in der ver-
waltungsgerichtlichen Praxis fortwährend vorkommenden Fragen sind ganz
gewiß keine Rechtsfragen im spezifischen Sinne, die nur der im Richteramt
geschulte Jurist, oder doch er am besten beantworten kann. Rechtskunde nützt
hier wenig, um so mehr sind Sachkunde und administrative Erfahrung vonnöten,
Kenntnisse, welche der dem Verwaltungswesen entfremdete und fernstehende
Richter sich regelmäßig erst durch weitläufige Beweisaufnahmen verschaffen
und von Sachverständigen erborgen muß. Drittens aber, und dies ist der am
schwersten wiegende Einwand gegen den ‚,Justizstaat‘‘: die intendierte Rechts-
kontrolle der Verwaltung durch die Justiz würde die Selbständigkeit der Ver-
waltung lähmen, deren diese durchaus bedarf, um ihre Aufgaben wirksam er-
füllen zu können. Die Kognition in Verwaltungssachen allgemein den ordent-
lichen Gerichten übertragen heißt, letzten Endes die Verantwortlichkeit
in ‘diesen Sachen auf die Justiz überwälzen. Es dürfte niemand
leicht fallen, die Verantwortlichkeit für eine solche Verantwortlichkeitsver-
schiebung zu übernehmen. Man denke doch darüber nach, wohin eine folge-
richtige Durchführung des hier bekämpften Prinzips führen würde. Wenn
jedermann, von dem die Polizeibehörde im Interesse der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung etwas verlangt, aufs Amtsgericht gehen und gegen die Polizei
Klage erheben, nach Befinden eine einstweilige Verfügung erwirken kann,
welche den Polizeiverwalter anweist, die Partei klaglos zu stellen, sie z. B. ihr
Haus so bauen zu lassen, wie es ihr und dem mit ihr einigen Richter gefällt,
der Polizei aber nicht gefällt, — dann liegt die Frage nahe, ob es nicht zweck-
mäßiger wäre, noch einen Schritt weiter zu gehen und den Amtsrichter wieder
zum „Amtmann‘ zu machen, ihm nicht sowohl die Kognition über die Polizei
als die Polizei selbst zu übertragen, den Grundsatz der Trennung von Justiz
und Verwaltung wieder aufzuheben und damit eine hundertjährige Entwickelung
rückgängig zu machen, welche bisher allgemein für einen Fortschritt gehalten
wurde.
Solche Erwägungen sind es gewesen, welche auf die deutsche Verwaltungs- Einführung
gesetzgebung seit den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahr- a
gerichtsbarkeit
hunderts bestimmend eingewirkt haben. Ihre natürliche Überzeugungskraft in Deutschland.