I. Justiz u.Verwaltg. B. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtspflege). 399
behörden übertragen, welche den einzelstaatlichen Verwaltungsgerichten im
Wesen gleichen, sofern sie, wiewohl Verwaltungsbehörden, doch in ihrer streit-
entscheidenden Zuständigkeit von der obersten Leitung der Reichsverwaltung,
dem Reichskanzler, unabhängig gestellt sind und auch sonst, angesichts ihrer
kollegialen Formation und des ihnen vorgeschriebenen Verfahrens, die Garan-
tien eines Gerichtshofes darbieten. Diese Reichsverwaltungsgerichte sind: das
Bundesamt für das Heimatwesen (zuständig für die Entscheidung von Streit
sachen zwischen Armenverbänden), das Reichsversicherungsamt (oberste In-
stanz in Streitsachen der Arbeiterversicherung nach der Reichsversicherungs-
ordnung vom IQ. Juli 1911), das Oberschiedsgericht in Sachen der Angestellten-
versicherung (Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20. Dezember IgıI), das
Oberseeamt (Berufungsinstanz über den Seeämtern; Reichsgesetz betreffend die
die Untersuchung von Seeunfällen vom 27. Juli 1877), die Reichs-Rayonkom-
mission (entscheidet über Rekurse gegen Anordnungen der Festungskomman-
danturen in Rayonangelegenheiten, RGes. v. 21. Dez. 1871), das Reichspatent-
amt (Annullierung von Patenten, Patentges. v. 7. April 1891), das Kaiserliche
Aufsichtsamt für Privatversicherung (Rekursinstanz in Sachen der Beaufsich-
tigung privater Versicherungsunternehmungen, RGes. vom 12. Mai 1901), das
durch Richter verstärkte Reichseisenbahnamt (Rechtskontrolle über Maßregeln
des Reichseisenbahnamtes, RGes. v. 27. Juni 1873). Die von mehreren Seiten
(vgl. die für den deutschen Juristentag erhobenen Gutachten von Thoma und
Anschütz, Verhandlungen des 30. deutschen Juristentages [1910] Bd. IS. sıff.,
489ff.) empfohlene Vereinigung aller oder mehrerer dieser Sondergerichte zu
einem einheitlichen Reichs-Verwaltungsgericht, dem dann auch noch andere
Zuständigkeiten, nach Befinden die Rechtskontrolle über den gesamten Vollzug
der Reichsgesetze durch die Behörden der Einzelstaaten, zu überweisen wären,
ist wohl nur eine Frage der Zeit. Der Juristentag hat am 13. September I9IO das
Bedürfnis eines solchen Reichsverwaltungsgerichts im Prinzip einstimmig bejaht.
Anderer Meinung ist Schultzenstein in den Verhandlungen des 29. Juristen-
tages, Bd. 2, S. 3ff., im Preußischen Verwaltungsblatt Bd. 31, S. zııff. und
im Verwaltungsarchiv Bd. 19, S. 538ff.
Vollzug und Handhabung der Verwaltungsgesetze des Reiches, z. B. der
Gewerbeordnung, des Freizügigkeits-, Preß-, Krankenversicherungsgesetzes ist,
einschließlich der dabei entstehenden Streitigkeiten, nach der geltenden Kom-
petenzabgrenzung im allgemeinen Sache der Einzelstaaten, ihrer Verwaltungs-
behörden und Verwaltungsgerichte.
3. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Die zur Zu- Die Verwaltungs
ständigkeit der Verwaltungsgerichte gehörigen Sachen heißen Verwaltungs- streitsachen.
streitsachen. Sie decken sich keineswegs mit den Verwaltungssachen über-
haupt (dem Inbegriff aller von den Verwaltungsorganen kompetenzmäßig zu
erledigenden Angelegenheiten), ja, nicht einmal mit der Gesamtheit der Fälle,
in denen mit der Verwaltung oder über sie gestritten wird. Nicht alle aus Anlaß
der öffentlichen Verwaltung sich erhebenden Streitfälle sind Verwaltungsstreit-
sachen, sondern nur diejenigen, die das Gesetz als solche bezeichnet. Das Gesetz