Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Kor. ventional- 
regeln. 
22 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft. 
stimmung des Gegenwärtigen durch das Zukünftige. Diese reine Form des 
Ordnens nach Mitteln und Zwecken findet in der Unterscheidung des ver- 
bindenden und des getrennten Wollens eine Anwendung, die nichts von 
den Besonderheiten der zu bewirkenden Gegenstände in sich trägt. Nunmehr 
zeigt sich, daß das Verbinden mehrerer Willensinhalte entweder in einer 
bleibenden Weise oder von Fall zu Fall zu geschehen vermag. Es wird 
der Gedanke des teleologischen Verbindens entweder in das verbindende 
Wollen oder in die verbundenen Willensinhalte gelegt. Im ersten Falle er- 
halten wir den Begriff desselbstherrlichen, im zweiten den deseinladenden 
Verbindens; zu jenem gehört das rechtliche Wollen. 
Dabei haben wir uns bis hierher an die vielfach gebräuchliche Sprech- 
weise gehalten, die dem Rechte als andere soziale Regelung die Sitte gegen- 
überstellt. Ganz genau ist dieser Sprachgebrauch aber nicht. Denn er trifft 
nur solche hypothetisch einladende, soziale Regeln, die als Art der Entstehung 
das allmählich Wachsende, Gewohnheitsmäßige haben. Diese Art der Ent- 
stehung ist aber in keiner Weise von maßgebender Bedeutung. Sie kann auch 
bei rechtlichen Sätzen auftreten und dort als Gewohnheitsrecht dem Gesetzes- 
recht im engeren Sinne gegenübertreten. Und es ist umgekehrt möglich, daß 
nur bedingt einladende Aufforderungen des gesellschaftlichen Lebens nach 
der Weise einer staatlichen Gesetzgebung entstehen, sich verändern, aufge- 
hoben werden, beispielsweise in dem Komment, der Etikette, den Satzungen 
der Satisfaktion in geschlossenen Kreisen. Ja es vermag endlich sogar zu ge- 
schehen, daß ein derartiges soziales Wollen in einer konkreten Sachlage durch 
Beredung einzelner weniger Beteiligten auftritt; so bei Abmachungen, die 
ihrem eigenen Sinne nach im gesellschaftlichen Leben keinen rechtlich binden- 
den Charakter tragen sollen, z. B. das Versprechen, auf einer Reise jemanden 
zu besuchen, die Abrede, ein bestimmtes Buch zu lesen u. dgl. — Ich nenne 
alle hierher gehörigen Sätze, denen der selbstherrlich bindende Charakter fehlt, 
Konventionalregeln. Gemeinsam ist ihnen allen, daß man genau genommen 
von „Pflichten‘ bei ihnen gar nicht sprechen kann. Ein jeder ist nur so lange 
an ihre Anweisung gebunden, als er will, und nur in übertragener Bedeutung 
kann daher von einer konventionalen Gemeinschaft, als einem ganz verblaßten 
Abbild der rechtlichen Verbände die Rede sein. Immer aber muß festgehalten 
werden, daß man auch bei dem Begriffe der Konventionalregel nicht von dem 
Standpunkte des Einzelnen ausgehen darf, der der Regel unterstellt werden soll, 
sondern von dem Bestande des sozialen Wollens aus, das verbindend über den 
Individuen gedacht ist. Es ist der Sinn dieser sozialen Regeln als 
solcher, der zu ihrer Unterscheidung in selbstherrlich gebietende und in be- 
dingt einladende führt, es ist die formale Art der Anrede seitens be- 
stimmten sozialen Wollens, die Recht und Sitte trennt: Das Recht ist ein 
selbstherrlich verbindendes Wollen. 
IV. Die Unverletzbarkeit. Diese Bestimmung des rechtlichen 
Wollens bietet noch nicht die letzte mögliche Zergliederung, in welcher der
	        
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