Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Rechts- und 
Interessenschutz 
durch die 
Verwaltungs- 
gerichte. 
402 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht. 
Bei zusammenfassender Beurteilung des den Verwaltungsgerichten zu- 
geteilten Wirkungskreises ist viel darüber gestritten worden, ob der Zweck der 
Verwaltungsgerichtsbarkeit in dem Schutz der subjektiven Rechte oder in der 
Aufrechterhaltung des objektiven Rechtes bestehe. Jede der beiden streitenden 
Meinungen ist für sich einseitig und insoweit unrichtig, aber auch durch die Ver- 
einigung beider wird der Zweck des Instituts nicht erschöpfend bezeichnet. 
Einmal dient jede Rechtsschutzeinrichtung, welche die Sicherheit des subjektiven 
Rechtes gewährleistet, damit auch von selbst der Aufrechterhaltung der Rechts- 
ordnung, auf welcher das subjektive Recht beruht; dies gilt auch von der Ver- 
waltungsgerichtsbarkeit: sie ist ‚Pflege‘‘ der subjektiven Rechte gegenüber der 
Verwaltung, nicht minder aber der Verwaltungsrechtsordnung als solcher, und es 
kann nicht zugestanden werden, daß die zweite Seite dieser Doppelaufgabe 
irgendwie hinter der ersten zurücktrete. Zweitens aber läßt sich nicht leugnen, 
daß in vielen Fällen die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur dem objektiven, gar 
nicht dem subjektiven Recht dient: so, wenn in Preußen Beschlüsse des Kreis- 
ausschusses, Bezirksausschusses, Provinzialrates von den Vorsitzenden dieser 
Behörden wegen Machtüberschreitung oder Gesetzesverletzung durch Klage 
beim Oberverwaltungsgericht angefochten werden (LVG. $ 126), wenn Gemeinde- 
vorstand und Gemeindevertretung vor dem Verwaltungsgericht darüber streiten, 
ob ein Beschluß der letzteren von dem ersteren mit Recht wegen Gesetzesver- 
letzung beanstandet worden ist (Preuß. ZG. $ 15), wenn (was in allen Ländern 
zulässig ist) von dem Vorsitzenden eines Verwaltungsgerichts unterer Instanz 
gegen ein Urteil dieses Gerichts Berufung oder Revision eingelegt wird, um im 
öffentlichen Interesse die durch das Urteil verursachte Entstehung oder Fort- 
setzung eines objektiv rechtswidrigen Zustandes zu hindern. Überall ist es 
„linteret de la loi‘‘, das Staatsinteresse an der Aufrechterhaltung der Rechts- 
ordnung als solcher, keineswegs ein bedrohtes subjektives Recht, was das Ein- 
schreiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit veranlaßt. Drittens endlich gibt es 
Fälle — und diese Seite der Verwaltungsgerichtsbarkeit hat besonders die 
preußische Gesetzgebung ausgebildet —, wo es sich um Rechtsschutz, mag 
man dabei an das subjektive oder objektive Recht denken, überhaupt nicht 
handelt, sondern um den Schutz bloß faktischer Interessen, um die Sicherung 
der Untertanen nicht nur vor Rechtswidrigkeiten sondern auch vor solchen 
Unbilligkeiten des administrativen Gebarens, die formell nicht als rechtswidrig 
zu bezeichnen sind: vor einer sachlich nicht gebotenen Handhabung des ad- 
ministrativen Ermessens. So hat in Preußen der Verwaltungsrichter z. B. über 
die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Anforderungen zu entscheiden, 
welche seitens der Unterrichtsverwaltung an die von den Gemeinden zu errich- 
tenden und zu unterhaltenden Schulhäuser gestellt werden (ZG. $ 47), er urteilt 
auf erhobene Popularklage (ZG. $ 57) über die Frage, ob die Einziehung eines 
öffentlichen Weges durch die Behörde zu billigen oder aus praktischen und ver- 
kehrstechnischen Gründen aufzuheben, ob das Bedürfnis zur Erteilung einer 
Schankwirtschaftskonzession vorhanden, ob das von der zuständigen Behörde 
bemängelte Statut einer Innung, einer Krankenkasse zu bestätigen sei oder
	        
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