1. Justiz u. Verwaltg. B. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsrechtspflege). 409
Zentralisation von seltener Geschlossenheit, sodann aber durch eine auffallend
weite Bemessung des administrativen Wirkungskreises gegenüber der Justiz-
kompetenz, eine Weite, welche von Dareste (la justice administrative en France,
2° ed., p. 202) mit den Worten: ‚en France, la part de l’administration est plus
large que partout ailleurs‘‘, vollkommen richtig gekennzeichnet wird. Drittens
endlich findet die französische Verwaltung ihre Stärke in der Freiheit, d.h. in
einer nahezu absoluten Unabhängigkeit von der Justiz. Die Verwaltung lebt
nicht sowohl nach dem ihr eigenen Verwaltungsrecht — nirgends schärfer als
wiederum in Frankreich ist die dogmatische Grundverschiedenheit von Ver-
waltungs- und Zivilrecht ausgeprägt —, sie ist auch ihr eigener Richter. Die
Möglichkeit, in Streitsachen, bei denen die Verwaltung beteiligt ist, den ordent-
lichen Richter anzugehen, war stets, unter der alten Monarchie, zur Revolutions-
zeit, im Kaiserreich, sie ist ebenso noch heute enger begrenzt als irgendow
anders. In diesem, allem Schein zum Trotz weder justizfreundlichen noch indi-
vidualistischen Sinne ist auch der Grundsatz der Gewaltenteilung in Frankreich
immer aufgefaßt worden. Der Bildner dieses Grundsatzes, Montesquieu, denkt
nicht daran, für die richterliche Gewalt seines konstitutionellen Zukunftstaates
mehr zu fordern, als die Zuständigkeit in Zivil- und Strafsachen: die streit-
entscheidende Tätigkeit auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts gilt ihm als
Funktion der vollziehenden, nicht der richterlichen Gewalt. Die Gesetzgebung
von 1790 und 1795 nimmt die Gedanken Montesquieus auf und verbindet damit
den stark betonten Folgesatz, daß es den Richtern bei Strafe verboten sei, die
Tätigkeit der Verwaltungsorgane irgendwie zu ‚‚stören‘‘ (,‚troubler‘‘), die Verwal-
tungsbeamten wegen ihrer Amtshandlungen zur Verantwortung zu ziehen, ja, über-
haupt administrative Akte einer Nachprüfung zu unterziehen (de connaitre des
actes d’administration), sei es auch nur, daß die Rechtsgültigkeit des Aktes als
Indizentfrage eines Zivil- oder Strafprozesses auftritt. An diesen Anschauungen
über die Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung hat das französische Recht
seither unverändert festgehalten. Bedenkt man nun ferner, daß das sachliche
Herrschaftsgebiet des Verwaltungsrechts nach französischen Begriffen viel
weiter reicht als nach deutschen, daß den ersteren die uns so geläufige Unter-
stellung des Staates als Fiskus unter das Privatrecht im allgemeinen fremd ist,
daß danach in Frankreich nicht nur die Verwaltung, welche befiehlt und zwingt,
sondern auch die, welche besitzt, erwirbt, Verträge schließt, z. B. die Behörde
welche öffentliches Eigentum veräußert, öffentliche Arbeiten ausführt oder aus-
führen läß, Lieferungen für öffentliche Anstalten vergibt, in diesen uns als reine
Privatrechtshandlungen erscheinenden Operationen der Justizzuständigkeit völlig
entrückt ist, — so ergibt sich das Bild nicht sowohl der Trennung als viel-
mehr einer schroffen Absperrung der Justiz von aller Verwaltung und allem
Verwaltungsrecht, welche, mit deutschem Maße gemessen, auch noch weite
Gebiete des Privatrechts von dem Wirkungskreis der Justiz wegschneidet.
Vornehmlich zur Kognition in solchen Streitsachen, die wir als privat-
Wesen der
anzösischen
rechtlich-fiskalische bezeichnen würden, und die bei uns von jeher vor die ordent- verwaltungs-
lichen Gerichte gehörten, — nicht so sehr zum Schutz des Individuums gegen recttspflese.