Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Justiz und Verwaltung. C. Kompetenzkonflikte. 419 
vorhandensein maßgebend auch im Streitfalle zu befinden, sei es, daß der Streit 
von der beklagten Prozeßpartei durch die Einrede der Unzulässigkeit des 
Rechtswegs, sei es, daß er von einer Verwaltungsbehörde erhoben wird. Es ist 
deutlich, daß es nach dem vorbezeichneten System Kompetenzkonflikte im 
spezifischen Sinne gar nicht gibt: der Konflikt wird nicht anders behandelt und 
erledigt wie jeder Zwischenstreit über das Dasein der Prozeßvoraussetzungen. 
Dieses System gilt in England; das Institut der Kompetenzkonflikte ist dort 
sowohl dem Namen wie der Sache nach unbekannt. Ihm folgt aber be- 
merkenswerterweise auch das deutsche Reichsrecht, indem das Gerichtsver- 
fassungsgesetz vom 27. Januar 1877, $ ı7 das Prinzip aufstellt: die Gerichte 
entscheiden über die Zulässigkeit des Rechtsweges. Doch gilt dieser Satz, ab- 
weichend von dem Regelverhältnis des Reichsrechts zum Landesrechte, nur 
aushilfsweise (subsidiär); er kann durch andersartige, sogleich zu besprechende 
Normen des Landesrechts verdrängt werden, und eine solche Verdrängung hat 
im größten Teile Deutschlands stattgefunden. 
Von dem Dasein des Kompetenzkonflikts als eines spezifisch gestalteten 
Rechtsinstituts darf füglich nur da geredet werden, wo die Kompetenzfrage von 
dem mit der Sache befaßten Gericht (dem Prozeßgericht) abgerufen und der 
Entscheidung einer anderen, besonderen Instanz unterbreitet werden kann oder 
muß. 
II. Behandlung der Kompetenzkonflikte. In bezug auf Auswahl 
und Konstruktion dieser besonderen Instanz bestehen verschiedene Systeme. 
Selten (nur in einigen Schweizer Kantonen) findet sich die Übertragung des 
Richteramtes über den Streit der richterlichen und vollziehenden Gewalt an 
die dritte Gewalt: die Legislative und den Träger der Legislative. 
Wesentlich der Vergangenheit gehört ein zweiter Modus an: Entscheidung 
der Kompetenzkonflikte durch das Staatsoberhaupt, in Einherrschaften 
also durch den Monarchen, sei es mit oder ohne obligatorische Begutachtung 
des Streitfalles durch den Staatsrat oder den Ministerrat oder die beteiligten 
Ressortminister. So das französische Recht 1800— 1848 und 1852 — 1872 (Staats- 
oberhaupt auf Grund eines Gutachtens des Staatsrats), Preußen 1828—1847 
(Königliche Entscheidung auf Bericht des Staatsministeriums), Bayern vor 
1850, Württemberg 1819—1879 (Königliche Entscheidung nach Anhörung des 
Staatsrats bzw. Geheimen Rates). Praktisch nicht wesentlich verschieden von 
diesem System ist dasjenige, welches dem obersten beratenden Verwaltungs- 
organ, dem Staatsrate, eine nicht nur begutachtende, sondern die entscheidende 
Stimme beilegt: so das italienische Recht 1865—1877 (Entscheidung der Kom- 
petenzkonflikte durch den Staatsrat). 
Die Kompetenzgerichtsbarkeit des Staatsoberhauptes bzw. Staatsrats be- 
deutet im Grunde nichts anderes als die Entscheidung des Zuständigkeitsstreites 
durch einen der Streitteile selbst: die Verwaltung. Umgekehrt übertragen 
manche Gesetzgebungen die Entscheidung dem anderen Teil: der Justiz, d.h. 
allerdings nicht dem Prozeßgericht (vgl. oben), sondern dem obersten Gerichtshof. 
27° 
Entscheidung 
der Kompetenz- 
konflikte; 
verschiedene 
Systeme.
	        
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