Formales Merk-
mal von Recht
und von Willkür.
Orıgloäre
Rechts-
entstehung.
24 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
kann die Abgrenzung nicht geschehen, denn es ist ja auch möglich, daß im
besonderen Falle gerade der Inhalt des geltenden Rechtes diesen Prinzipien
entgegengesetzt war, und umgekehrt der es brechende Akt mit ihnen über-
einstimmt; und es würde danach auch unerklärt bleiben, wie es begreiflich
ist, daß ein willkürlicher Rechtsbruch selbst wieder zu einem rechtlichen Zu-
stande führen kann, auch in Fällen, in denen das also neu Geordnete mit den
allgemeinen Prinzipien des Rechtes vielleicht gar nicht in Harmonie steht.
Fragt man nun nach einem formalen Merkmal des Rechtes als solchen,
so kann das der Willkür gegenüber lediglich durch den Unterschied des nur
subjektiv oder des objektiv Verbindenden gegeben werden. Willkürliche
Anordnung würde in Machtbefehlen vorliegen, die formal von bloß subjek-
tiver Bedeutung sind, bloß als Ausbruch nur persönlicher Laune der Regel
Setzenden erachtet werden können; die in einem Gebote gegeben ist, das der
Befehlende selbst gar nicht (dem formalen Sinne nach) als objektiv bindende
Regelung menschlicher Beziehungen erachtet, das vielmehr (seiner eigenen
Meinung nach) nur die formale Bedeutung einer Befriedigung subjektiver Ge-
lüste und Strebungen des Gewalthabers durch ledigliche Bindung anderer
hat; auf das er zurückkommen wird, ss voluerst. Rechtliche Regelung wird
dagegen dann gegeben sein, wenn der Anordnende an die von ihm gesetzte
Regel selbst auch gebunden sein will; es müssen beide an dieses Wollen
verpflichtet gebunden sein, und solange es für den einen Unterstellten besteht,
soll es auch für den bestehen, der es gesetzt hat, sei es auch für den letzteren
nur dahin, daß er die gesetzte Norm auch getreulich handhabe, und daß er,
wenn er nicht mehr gebunden sein will, es erst bewirken muß, daß jene Satzung
die rechtliche, wieder aufgehoben sei.
Aus dieser möglichen Unterscheidung, die nach formalem, allgemeingül-
tigem Merkmal getroffen ist, läßt sich für das Wesen des Rechtes alsbald zweier-
lei bedeutsam folgern.
Einmal wird dadurch erklärt, wie es möglich ist, daß eine „originäre‘“
Rechtsentstehung statthaben kann. Schon vorhin wurde darauf hingewiesen,
wie es im Laufe der Geschichte unzähligemal vorgekommen ist, daß sich neues
Recht gebildet hat, ohne daß es sich dabei auf die Ermächtigung des seit-
herigen Rechtes stützen konnte, vielfach sogar in unmittelbarem Gegensatz
zu der bestehenden Rechtsordnung. Oft genug ist das in wildem Rechtsbruche
mit kriegerischer Gewalt oder Empörung geschehen; zuweilen mit Nieder-
legung einer Krone und dem Verzicht auf seitherige Souveränität, wie dies
dann auch in friedlichen Beredungen geschehen kann, etwa in den Abmachungen,
die den Norddeutschen Bund und dann das Deutsche Reich begründeten,
und die nicht einfach die Ausführung der bestehenden Verfassungen dar-
stellten, sondern selbst erst eine neue Zentralgewalt erschufen. Und es kann
zitiert werden, wie sich vielleicht einmal auch ein Gewohnbheitsrecht neu bilden
mag, obgleich es von dem bestehenden Rechte zurückgewiesen wird, also im
Wege des Rechtsbruches. — Die Erklärung solcher ursprünglichen Ent-
stehung von Recht hat Schwierigkeiten bereitet. Savigny meint, daß der-