Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Kompstenz- 
Gerichtshöfe. 
420 GERHARD ANSCHOTZ: Verwaltungsrecht. 
So Italien auf Grund des Gesetzes vom 31. März 1877 (Kassationshof in Rom), 
Belgien auf Grund der Verfassung von 1831, Art. 106 (Kassationshof); auch in 
den deutschen Einzelstaaten kann dies System eingeführt werden, da nämlich 
Einf.-Gesetz z.GVG. $ 17 gestattet, daß dieKompetenzgerichtsbarkeit auf Antrag 
des Einzelstaates und mit Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Ver- 
ordnung dem Reichsgerichte zugewiesen wird (ist geschehen für Bremen: 
Kaiserliche Verordnung vom 26. September 1879). 
Enndlich ist es ein naheliegender Gedanke, mit der Kompetenzrechtspflege 
besondere Behörden zu betrauen, welche richterliche Unabhängigkeit genießen, 
aber nicht lediglich mit richterlichen, sondern teils mit solchen, teils mit Ver- 
waltungsbeamten besetzt sind und in dieser ihrer Formation Gewähr dafür 
bieten, daß die jedem der beiden Staatsdienstzweige eigene besondere Sach- 
kunde und Berufserfahrung ebenmäßig zur Geltung kommt, daß bei den Kon- 
fliktsentscheidungen nicht Einseitigkeiten und Usurpationsbestrebungen auf 
der einen oder anderen Seite maßgebend werden können, daß überhaupt der 
Ressortpartikularismus in jeder Gestalt ausgeschaltet wird. 
Dieses System, das System der Kompetenzgerichtshöfe, gilt in 
Preußen seit der Einsetzung des Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenz- 
konflikte durch das Gesetz vom 8. April 1847, in Bayern seit dem Gesetz vom 
28. Mai 1850. Frankreich hat es vorübergehend von 1848 bis 1852 und end- 
gültig durch das Gesetz über den Staatsrat vom 24. Mai 1872 angenommen. 
Es kann ferner in den deutschen Einzelstaaten durch die Landesgesetzgebung 
eingeführt werden, wobei jedoch die durch das Reichsgerichtsverfassungsgesetz 
$ 17 Abs. 2 getroffenen Normativbestimmungen zu befolgen sind. Letztere 
gehen im wesentlichen dahin: die Kompetenzgerichtshöfe genießen richterliche 
Unabhängigkeit, sie sind mindestens zur Hälfte mit höheren richterlichen Be- 
amten zu besetzen, sie entscheiden in einer Besetzung mit mindestens 5 Mit- 
gliedern in öffentlicher Sitzung nach Ladung der Parteien, ihre Entscheidung 
kann nur so lange angerufen werden, als nicht die Zulässigkeit des Rechtsweges 
durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil festgestellt ist. Nach Maßgabe dieser 
Vorschriften sind die bestehenden Kompetenzgerichtshöfe reorganisiert bzw. 
solche Behörden neu eingeführt worden in Preußen, Bayern, Sachsen, Württem- 
berg, Baden und anderwärts. In Hessen ist dem den Normativbestimmungen 
des GVG. entsprechenden Verwaltungsgerichtshof die Kompetenzrechtspflege 
zugewiesen worden. Überall tritt die Entscheidung des Kompetenzgerichtshofs 
nur auf Antrag ein; der Antrag kann im Falle des positiven Konflikts nur von 
der Zentral- oder höheren Verwaltungsbehörde (,‚Erhebung des Kompetenz- 
konflikts‘‘), im Falle des negativen Konflikts von der beteiligten Partei ge- 
stellt werden. Das gleiche gilt nach dem französischen Gesetz vom 24. Mai 1872, 
welches den Kompetenzgerichtshof (tribunal des conflits) unter dem Versitz 
des Justizministers aus 3 Mitgliedern des Staatsrats und 3 Räten des Kassations- 
hofs, die von ihren Kollegen gewählt werden, sowie aus 2 weiteren Mitgliedern 
und 2 Ersatzmännern, diese vier vom tribunal des conflits selbst gewählt, zu- 
sammensetzt. |
	        
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