Gebundenheit
der
Polizeibehörden.
ı. an Normen.
a. an formelle
Gesetze.
426 EDMunD BERNATZIK: Verwaltungsrecht.
lichen Interessen, mit deren Verfolgung die Polizei bertraut ist, höher schätzt
als die des Individuums. Freiheit und Eigentum, wie nicht minder die Rechts-
gleichheit sind dadurch unvermeidlich bis zu einem gewissen Grade einem
„diskretionären‘‘ Ermessen der Polizeibehörden ausgeliefert, das in jeder
Staatsform leicht mißbraucht werden kann. In den konstitutionellen Staaten hat
man sich nun im 19. Jahrhundert bemüht, jene beiden widerstreitenden Ge-
sichtspunkte tunlichst in Einklang zu bringen, und so entstand im 19. Jahr-
hundert als Teil des Verwaltungsrechtes das Polizeirecht, welches die Be-
fugnisse der Polizeibehörde an eine Reihe von rechtlichen Bindungen knüpfte.
Hierin unterscheidet sich der Staat des 19. Jahrhunderts auffällig von dem
„polizeistaat‘‘ des 18. Jahrhunderts.
A. Polizeirecht.
I. Grundzüge des Polizeirechtes. Die Grundzüge des Polizeirechtes
in den konstitutionellen Staaten sind folgende:
Erstlich verlangt unsere politische Gesittung, die auf der Anerkennung
der Rechtsgleichheit, der Freiheit und des Eigentums des Individuums beruht,
daß die Voraussetzungen eines polizeilichen Eingriffs möglichst genau in ab-
strakten Normen geregelt sein sollen. Denn eine lange Erfahrung hat be-
wiesen, daß die Möglichkeit des Individualisierens seitens der Behörde desto
mehr zur Willkür und somit zur Zerstörung jener „Grundrechte‘‘ des Indi-
viduums führt, je größer die diskretionäre Gewalt der Polizeibehörde ist. Aber
auch wenn durch möglichst radikale Bindung das Individualisieren der Polizei-
behörde von abstrakten Normen tunlichst eingeschränkt ist, so bleibt nach
heutiger Auffassung der Polizeibehörde noch immer zu viel Spielraum.
Nach dem englischen und französischen System, das vielfach angenom-
men worden ist, müssen deshalb die Normen, welche das polizeiliche Eingreifen
regeln, entweder selbst ‚Gesetze‘‘ (das heißt mit Zustimmung des Parlamentes
zustande gekonmen) sein oder doch (als sog. ‚„Polizeiverordnungen‘‘) auf Er-
mächtigungen beruhen, welche in ‚Gesetzen‘‘ enthalten sind. In den kon-
stitutionellen Monarchien ist dies Prinzip freilich nicht ganz durchgedrungen.
Es hat sich vielmehr in verschiedenem Umfang ein Recht der Regierungen
erhalten, auf gesetzfreiem Gebiet (‚‚praeter legem‘‘) von sich aus polizeiliche
Normen zu erlassen.
Auch dort, wo dies der Fall ist, bemerkt man immerhin sehr erheb-
liche Unterschiede, je nachdem das Erfordernis aufgestellt wird, daß auch
die tatsächlichen Voraussetzungen des polizeilichen Eingriffs in den Ge-
setzen genau enthalten sein müssen. Dein Wortlaut, aber freilich nicht dem
Geiste des konstitutionellen Systems wird ja allerdings auch dann schon Genüge
geleistet, wenn etwa das Gesetz sich darauf beschränkt, nur in allgemeinen
Ausdrücken das Ziel der polizeilichen Tätigkeit zu bezeichnen, oder wenn es
sich gar damit begnügt, zu sagen, diese oder jene Behörde sei berechtigt, bei-
spielsweise „Sittlichkeitspolizei‘‘ zu üben, ohne im übrigen die gefährdenden
Tatbestände näher festzustellen. Englisches Prinzip ist es dagegen, diese Tat-