Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Ausblick auf die 
Zukunft. 
Begrifl 
der Kulturpflege. 
432 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht. 
mal dieser Periode. Wir Heutigen wissen dagegen, wie wertlos, ja wie schäd- 
lich (weil aufreizend) Gesetze sind, die nicht oder nur zugunsten bevorzugter 
Klassen durchgeführt werden. Ein Hauptfehler des bisherigen Polizeirechtes 
liegt darin, daß es zwar sehr weitgehende Schutzmittel gegen die übertriebene 
Tätigkeit, so gut wie gar keine aber gegen die Untätigkeit und Lässigkeit 
der Polizeibehörden geschaffen hat, unter welcher hauptsächlich die besitz- 
losen Klassen leiden. Die zweite Hälfte des abgelaufenen Jahrhunderts cha- 
rakterisiert sich daher durch die Schaffung besonderer speziell die Ausfüh- 
rung der sozialpolitischen Gesetze überwachender Ämter, der sog. „In- 
spektorate‘‘ (Fabriks-, Gewerbe-, Bergwerks-, Sanitäts-, Wohnungs-Inspek- 
torate), und damit steht im Zusammenhang das außerordentliche Gewicht, 
welches man seither auf die Statistik zu legen begann. Allein diese Neuerungen 
haben sich schon als nicht ausreichend erwiesen. Wir wissen bereits, daß der 
Arbeiter selbst oft besser, als der Berg- oder Fabriksinspektor, der nicht 
selten vom Unternehmer abhängig oder mit ihın befreundet ist oder auch dessen 
vielleicht nur fälschlich verdächtigt wird, die drohenden Gefahren erkennt 
und abzuschätzen, sowie Abwehren zu ersinnen weiß; er selbst oder ein Mann 
seines Vertrauens, seines gleichen, an den er sich leichter wenden kann. 
Gefahren, die von hier aus der Disziplin drohen, müßten sich bewältigen lassen. 
Aus dieser Empfindung heraus entspringt auch die Einsicht in die Notwendig- 
keit weiblicher Inspektoren dort, wo Frauen verwendet werden. Von dem 
Moment an, wo der Staat begreift, daß die Interessen der besitzlosen Klassen 
keineswegs die eines ‚inneren Feindes‘‘, sondern gerade so seine eigenen 
sind, wie die der besitzenden Klassen — und dieser Moment rückt überall rasch 
heran — ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Modifikationen des Polizei- 
rechtes, deren Anfänge unverkennbar vorhanden sind. Deuten wir diese An- 
sätze recht, so ist man im Begriffe, den besitzlosen Klassen eine Initiative be- 
hufs Erlassung der zu ihrem Schutze notwendigen Normen, eine Überwachung 
bei deren Durchführung und Teilnahme bei der Judikatur einzuräumen. 
Die freien Organisationen des Proletariats, die sich nach der notgedrungenen 
Aufhebung der Koalitionsverbote gebildet haben, sind ohne Zweifel berufen, 
die Träger dieser Rechte zu werden, wie sie ja in wirtschaftlicher Beziehung 
(Arbeitsvermittelung, kollektive Arbeitsverträge, Einigungsämter, Versiche- 
rung) bereits im Begriffe sind, dem staatlichen Organismus ein- und ange- 
gliedert zu werden. Denn das Mittel zur Sicherung der Rechtsgüter des einzelnen, 
welche sich das liberale System ersonnen hatte, nämlich das soeben charak- 
terisierte Polizeirecht, hat sich in den sozialen Kämpfen des 19. Jahrhunderts 
für den Schutz der besitzlosen Klassen als ebenso wirkungslos erwiesen wie die 
„Trennung der Gewalten‘‘, welche nach Montesquieus Traume die „politische 
Freiheit‘‘ eines jeden sicherstellen sollte. 
B. Kulturpflege. 
l. .Begriff und Gebiete der Kulturpflege. Die zweite Hälfte des 
19. Jahrhunderts ist charakterisiert durch eine Staatsauffassung, welche von
	        
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