II. Polizei und Kulturpflege. B. Kulturpflege. 439
irgendwo auf Grund einer aufrichtigen Rückkehr zu dem mittelalterlichen
Gesichtspunkt oder infolge wirklicher und aufrichtiger Religiosität der herr-
schenden Elemente, sondern um durch finanzielle Leistungen die Religions-
gesellschaften in Abhängigkeit vom Staate zu erhalten und hauptsächlich um
sich ihrer Macht zu politischen Zwecken, insbesondere im Kampfe gegen die
extrem-radikalen und sozialistischen Parteien zu bedienen. Bei diesem Kampfe
sind im 19. Jahrhundert die kirchlichen Organisationen gewöhnlich die Ver-
bündeten der Regierungen gewesen, wodurch der Einfluß der ersteren auf die
Bevölkerung, insbesondere die besitzlosen Klassen vielenorts stark vermindert
worden ist.
Hier liegt der Anlaß der mannigfaltigen demokratischen kirchlichen
Unterströmungen, die sich seit den letzten Jahren des abgelaufenen Jahr-
hunderts bemerkbar gemacht haben, selbst im Bereiche der katholischen
Kirche. Bisher haben diese Bestrebungen das erwähnte politische Verhältnis
zwischen Staat und Kirche nicht stören können. Und solange dies Verhältnis
bestehen bleibt, muß man sagen, daß der Staat auch gegenüber der Religion
eingemündet ist in das allgemeine staatssozialistische Fahrwasser, welches
für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist. Im Wider-
spruch zu dem revolutionären Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts machte
er den Religionen gegenüber keine Ausnahme mehr von dem allgemeinen
Prinzip, daß er sich verpflichtet und berechtigt fühlt, allen Kulturgütern in
einem gewissen Ausmaße seine Pflege angedeihen zu lassen. Betrachtet man
die Programme der extremen sozialistischen Parteien, die ja den Satz enthalten,
daß die „Religion Privatsache‘‘ sei, so scheint es freilich, als ob gerade von
ihnen die völlige Trennung der Kirche vom Staat gefordert würde. Allein dem
ist nicht so. Dieser Programmpunkt ist nur ein Produkt der momentanen
Koalition zwischen Kirche und Staat gegen die besitzlosen Klassen. Fällt
diese weg, was ja vielleicht im 20. Jahrhundert geschehen kann, so fragt man
sich vergebens, warum die absolute Majoritätsherrschaft, welche jene Pro-
gramme anstreben, gerade vor der religiösen Freiheit Halt machen sollte.
V. Die Kunst. Werfen wir nunmehr einen Blick auf das Verhältnis
des Staates zur Kunst. Während Ströme von Blut wegen der Stellung des
Staates zur Religion geflossen sind, hat die Kunst. zu so heftigen Kämpfen keinen
Anlaß geboten. Begreiflich genug. Denn was sind die Genüsse der Kunst
gegenüber den Freuden des Jenseits! Auch setzt ein stärkeres Interesse für
die Kunst einen erheblicheren Grad von Wohlstand voraus, als zur Zeit der
Religionskriege bei den breiten Massen vorhanden war. Darum die Dürftigkeit,
welche die modernen Verfassungen in diesem Punkte charakterisiert. Auch
sonst wird im öffentlichen Recht die Kunst ebenso spärlich berücksichtigt wie
in der juristischen Literatur. Ist ja doch insbesondere bei den germanischen
Nationen die Kunst erst in neuester Zeit mehr in den Vordergrund des geistigen
Lebens getreten, seitdem eben die religiösen Fragen aufgehört haben in dem
Maße zu interessieren wie ehedem. An Debatten ünd Streitigkeiten über