II. Polizei und Kulturpflege. B. Kulturpflege. 449
Kleinbürger- und Bauernstand die Hebung der Bildung, ohne welche mit nach-
haltigem Erfolge weder Sozial- noch Agrar- noch Gewerbepolitik betrieben
werden kann. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis diese Erkenntnis
in allen maßgebenden Kreisen durchgedrungen sein wird, und Staat und Kom-
munen, die bisher der Bewegung mit wenig Teilnahme, ja oft direkt übel-
wollend gegenüberstanden, sie selbst in die Hand nehmen werden. So unaus-
weichlich und so wünschenswert dies ist, auf daß die der ganzen Einrich-
tung bisher anhaftende finanzielle Dürftigkeit, Planlosigkeit und Zufälligkeit
aufhöre, so wird doch damit auch mancher Vorzug, der nur in der Freiheit
gedeiht, bedroht sein.
In einem höchst merkwürdigen Gegensatz zu der weitumfassenden und
sich täglich vergrößernden Tätigkeit des Staates auf dem Gebiete des Unter-
richtswesens steht seine fast völlige Passivität, ja Impotenz gegenüber dem
anderen Bildungsmittel, der Presse. Dort sorgfältigste Pflege, hier anarchi-
sche Freiheit, und zwar eine Freiheit, die desto größer geworden ist, in je ärgerer
Weise sie ausartete. Trotz der zum Teil geradezu schreienden Mißbräuche der
Tagespresse, deren Schilderung hier wohl entbehrlich ist, zeigt sich nirgends
die Tendenz, zu den Präventivmaßregeln der früheren Zeit zurückzukehren.
Man hat sich von ihrer Fruchtlosigkeit, ja Schädlichkeit überzeugt. Selbst
die Repressivmaßregeln, wie Berichtigungsrecht und Geschworenenjudikatur,
erwiesen sich bei all ihrer Unentbehrlichkeit oft als gefährlich und verderblich.
Eine staatliche Pflege des Preßwesens aber kennt unsere Zivilisation so gut
wie nicht. Man hat allerdings hie und da, z. B. in der Schweiz und in Amerika,
Hochschulkurse zur Heranbildung von Journalisten eingeführt; allein schwer-
lich wird damit etwas Erhebliches erzielt werden. Vielleicht wird sich mancher
Übelstand durch genossenschaftliche Zusammenfassung der Journalisten, Sorge
für die Pflege des Standesbewußtseins, Alters- und Invaliditätsversicherung
mildern lassen. Aber sehr viel ist auch hiervon nicht zu erhoffen. Unsere
Presse ist nun einmal ein Erbstück des Liberalismus, sie wird immer der Tummel-
platz der freien Konkurrenz der Talente, der self-made-men sein. Auch treffen
solche Maßregeln nicht die wahre Quelle des Übels. Diese liegt nicht bloß in
dem Mangel an Bildung, sondern vor allem in dem Mangel an Charakter und
— an Geld. |
Unser Preßwesen leidet an dem inneren Widerspruch, daß die Presse
höchst wichtige öffentliche Funktionen erfüllen und doch zugleich ein gewinn-
bringendes Unternehmen sein soll, aus dem sich der einzelne nach Kräften zu
bereichern trachtet. Einzig ein Teil der sozialdemokratischen Presse macht
hier, so wenig sie sonst sympathisch sein mag, eine rühmenswerte Ausnahme,
indem ihr Reinertrag meist zu Parteizwecken verwendet wird. Manche möchten
hierin ein Zukunftsbild erblicken. Es ist aber klar, daß da vielmehr nur eine
ephemere Erscheinung vorliegt. Denn der Journalist als angestellter öffent-
licher Beamter — das wäre das Ziel dieses Gedankens, aber auch das Ende un-
seres Preßwesens! Es hieße das alle Nachteile der staatlichen Pflege der Kunst
und Wissenschaft auf die Presse, deren Wert nur in ihrer Freiheit liegt, ver-
Kultur der Gegenwart. 1I. 8. 2 Aufl. 29