Presse und
Volksbildungs-
wesen.
Volks
bibliotheken.
450 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht.
pflanzen. Trotz alledem bemerken wir gewisse Ansätze zu einer pfleglichen
Tätigkeit des Staates auch hier.. Wir denken dabei nicht etwa bloß an die
amtlichen Zeitungen, die ja so wenig Bedeutung haben, daß die Regierungen,
wenn sie die öffentliche Meinung ernstlich beeinflussen wollen, dies heimlich
oder anonym tun müssen. Wir denken auch nicht an die sog. offiziöse Presse,
die dauernd oder vorübergehend vön den Regierungen bestochen oder sub-
ventioniert wird, denn diese Bildungen sind doch zu wenig bedeutungsvoll.
Wir denken an. die Verbindung des Preßwesens mit dem Volksbildungs-
wesen. Hat man früher besorgt, daß die Volksmassen zu viel lesen, so
fürchtet man jetzt, daß sie zu wenig lesen. Man hat (das ist freilich weder
lange her noch allgemein anerkannt) begriffen, daß in der Periode des Kapi-
talismus Mangel an Bildung beim Bauernstand eine Hauptursache der ewigen
„Notlage‘‘ der Landwirtschaft, beirm Gewerbestand eine Hauptursache seiner
Aufsaugung durch den Großbetrieb ist (soweit dieser Prozeß überhaupt auf-
zuhalten ist), bei den besitzlosen Massen endlich, die nicht wie jene wenigstens
durch den Besitz an unsere Gesellschaft gekettet sind, eine der schwersten
Gefahren für unsere ganze Gesittung bedeutet. Gewaltsame Umsturzversuche
können nur von einer ungebildeten, besitzlosen Masse drohen, und daher
erkennen wir heute, daß die Gefahren der Unbildung größer sind als die der
Halbbildung. Denn der Halbgebildete weiß doch wenigstens von der Existenz
der Kulturgüter und hat im allgemeinen Respekt vor ihnen. Aus der völligen
Unbildung kann man sich ferner durch eigene Kraft nicht erheben, wohl aber
aus der Halbbildung. Und das zu ermöglichen, ist ebenfalls ein Ziel des sog.
Volksbildungswesens. Die Verbilligung der Presse reicht dazu nicht aus. Im
Gegenteil, eine billige Zeitung verschlimmert in gewisser Beziehung das Übel
durch ihre Parteilichkeit. Bücher sind für die breiten Massen zu teuer.
So ist man auf den Ausweg gekommen, periodische und nichtperiodische
Presse in öffentlichen Anstalten allgemein zugänglich zu machen. Nach dem
Vorbild der gewerblichen Leihbibliotheken und der gelehrten Bibliotheken hat
man die „Volksbibliotheken‘‘ geschaffen, neben dem Volksunterrichts- und
Kunstwesen ein besonderes Stück des Volksbildungswesens und zugleich eine
der glänzendsten Schöpfungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie
wurden zuerst in den fünfziger Jahren in England, in Amerika, dann in Sachsen
und Württemberg und anderwärts ins Leben gerufen. Sie sind sehr ver-
schieden organisiert. In England waren sie von Anbeginn kommunale An-
stalten, deren Errichtung zwar im Belieben der (größeren) Städte stand, deren
Kosten aber durch Steuern gedeckt wurden. Dazu trat dort staatliche Sub-
ventionierung, Beteilung mit amtlichen Publikationen, Entsendung von Fach-
männern behufs Einrichtung und Instandhaltung der Bibliotheken, Verleihung
von Wanderbibliotheken, in Nordamerika das im Jahre 1869 gegründete, als
Zentral-Anstalt für die Veröffentlichung und für die Auskünfte in Sachen der
Volksbildung und der Volksbibliotheken vortrefflich wirkende „Bureau of
Education“. In Frankreich dagegen sind die Volksbibliotheken bisher fast
ausschließlich mit den Schulbibliotheken in Verbindung. In den übrigen Staa-