II. Polizei und Kulturpflege. B. Kulturpflege. 451
ten, insbesondere den deutschen, sind sie meist in den Händen von freien
Vereinen, hauptsächlich Arbeitervereinen und Vereinen mit karitativem Cha-
rakter und genießen bisher noch wenig offizielle Förderung, eher noch durch
den Staat als durch die Kommunen. Die Vereine mit karitativem Charakter
haben hier sehr große Erfolge erzielt; allein bei Unentgeltlichkeit der Leistungen
nehmen diese den Charakter des Almosens an und verlieren dadurch viel an
Wertschätzung seitens der Teilnehmer. Auch besteht dann die Gefahr, daß
die Anstalten in den Dienst politischer oder religiöser Parteien gestellt werden,
eine Gefahr, die auch den rein kommunalen Veranstaltungen droht. Die Er-
fahrung hat nun gelehrt, daß das Publikum aus solchen tendenziös geleiteten
Volksbibliotheken nach einiger Zeit ausbleibt. Über die nicht leichte Ein-
richtung der Volksbibliotheken, das schwierige Problem des Verhältnisses der
Anstalt zu ihren Besuchern und deren Anteilnahme an der Verwaltung be-
steht bereits eine umfangreiche Literatur; es gibt eigene Zeitschriften, Kon-
gresse, ja in Amerika besondere Schulen zur Heranbildung des Personales,.
Sehr erwähnenswert ist auch die Errichtung solcher Bibliotheken in Gefäng-
nissen, Kasernen, Eisenbahnen, Schiffen, Spitälern und Schulen. Die Schul-
bibliotheken, in Schüler- und Lehrerbibliothek zerfallend, haben nach fran-
zösischem Vorbild eine große Verbreitung in der ganzen Welt gefunden.
Übrigens wurden in neuester Zeit Volksbibliotheken häufig auch mit Erholung»
Arbeitsvermittelung und mit Rechtsschutzstellen verbunden. und sie dienen Anstalten.
auch künstlerischen Bedürfnissen, der Erholung und der ‚Unterhaltung‘.
Die Frage, inwieweit Interessen der letzteren Art im Volksbibliothekswesen
eine Berechtigung haben, ist vorläufig noch viel bestritten. Über den Lauf
der Entwickelung kann aber kein Zweifel sein. Man sieht dies deutlich daraus,
daß die Volksbibliotheken neuestens mit allerlei Veranstaltungen verbunden
wurden, welche Zwecke der Belehrung und künstlerischer Art mit in Betracht
ziehen. Wir finden in Verbindung mit den Volksbibliotheken nicht nur musi-
kalische und theatralische Aufführungen, Schaustellungen mit Hilfe des Skiop-
tikons und des erst neuestens entstandenen und heute bereits zu einem wich-
tigen, aber gefährlichen Volksbildungsmittel gewordenen Kinematographen,
sondern auch eigene Anstalten, welche in erster Linie der Erbauung, der
Erholung, dem Sport, dem Vergnügen dienen, Solche Anstalten, zuerst
in England gegründet, Toynbeehalls genannt, sollen bei jenem Teil der
Menge, der nicht mehr in die Kirche gehen kann oder will, diese und bei
den übrigen das Wirtshaus ersetzen. Und damit begegnet die Sache dem
Gesundheitswesen und der Volkswirtschaftspolitik, welche letztere freilich
(wegen der Steuern von den geistigen Getränken) hier nach zwei Seiten in-
teressiert.ist. Denn ohne Beschränkung des Alkoholgenusses ist eine nennens-
werte Hebung der Lage der handarbeitenden Klassen nicht möglich. Eine
geistige Erholungs Erhebungs- und Vergnügungsstätte ist für den physischen
Arbeiter ebenso unerläßlich, wie für den geistigen die körperliche Bewegung.
Bisher war für das Proletariat und den kleinen Mittelstand die einzige Er-
holungsstätte das Wirtshaus. Öffentliche Anstalten treten nunmehr mit diesem
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