452 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht.
in Konkurrenz. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß solche öffentliche Anstalten,
die bisher ausschließlich in den Händen des freien Vereinswesens und der Wohl-
tätigkeit liegen, ganz oder zum Teile in die der Kommunen, vielleicht sogar
unter Beteiligung des Staates, übergehen werden. Das ist auch ganz natürlich.
Denn je demokratischer und sozialistischer die Staatsidee wird, desto mehr
wird man sich gedrängt sehen, nicht bloß in außergewöhnlichen ‚Festen‘,
wie es im antiken Staate und in der französischen Revolution der Fall war,
sondern in Form ständiger öffentlicher Anstalten, dem Volke Stätten des Ver-
gnügens, geistigen Genusses und der Erholung zu bieten. Die Gebiete der
staatlichen Kulturpflege und damit die Verwaltungsressorts werden sich dann
um eines vermehren, das wir bei der oben gegebenen Übersicht — dem bis-
herigen Zustand entsprechend — gar nicht in Rechnung gezogen haben.
ea an Nur durch das Volksbildungswesen können die Auswüchse der Preßfrei-
Auswüchse des Deit zurückgedrängt werden. Im 20. Jahrhundert wird dies nicht mehr durch
Preöwesens. Mittel der Polizei, der Gewalt, der politischen, religiösen oder nationalen Ein-
schüchterung oder Bevormundung, sondern nur durch eine solche Steigerung
der Verbreitung der Presse möglich sein, daß die Bevölkerung gebildet und
intelligent genug wird, um sich die schlechte Presse vom Leibe zu halten.
Dann erst wird man sich dem großen Ziel der Reformation, der Herstellung
der geistigen Freiheit des ganzen Volkes, dessen Erreichung durch die sozialen
Kämpfe des 19. Jahrhunderts so sehr verdunkelt worden ist, wieder nähern
können.
VIII. Das Gesundheitswesen. Ein anderes Gebiet der Kulturpflege
des Staates ist das Gesundheitswesen. Der Polizeistaat hinterließ eine für
seine Zeit ganz vortreflliche Organisation des Heilpersonales, die wir hier über-
gehen, weil sie an einer anderen Stelle des vorliegenden Werkes besprochen
wird. Diese Organisation besteht im wesentlichen noch heute fort. Auch sie
war fast nur für die besitzenden Klassen gedacht, indem der Staat sich be-
mühte, durch Ausbildung des Heilpersonales an den Universitäten demjenigen,
der bezahlen konnte, die Bedingungen der Heilung von Krankheiten beizu-
stellen. Im übrigen kümmerte sich der Staat um das Heilwesen nicht. Die
besitzlose Klasse war nach den Grundsätzen der mittelalterlichen Sozialpolitik
auf die Wohltätigkeit und das Almosen angewiesen, die allerdings zahlreiche
Heil- und Pflege-Anstalten ins Leben gerufen hatten. Aber diese waren natür-
lich nicht nach einheitlichen Prinzipien verteilt und fehlten auf dem Lande
fast ganz. Wo medizinische Fakultäten bestanden, da wurden die Spitäler mit
diesen in Verbindung gesetzt, indem die Heilung der Besitzlosen der Gesamt-
heit dadurch dienstbar gemacht wurde, daß der ärztliche Nachwuchs hierbei
seinen Unterricht erhielt. So entstand die Einrichtung der „Klinik“.
Von einer Gesundheitspflege war dabei’noch nicht die Rede. Die Vor-
stellung, daß es Sache des Staates und der Kommunen sei, der Entstehung
von Krankheiten vorzubeugen, fehlte ebenso wie die Empfindung für die
Solidarität der Interessen der ganzen Bevölkerung. Freilich, beim Ausbruch